Martin, Frank : In terra pax

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Kings.Singer
Inventar
#1 erstellt: 08. Jun 2009, 12:41
Hallo Leute.


Momentan studieren wir im Chor u.A. dieses Werk ein. Es ist von seiner Anlage her zwar groß angelegt - z.B. für Doppelchor - doch wer große achstimmige Chorpassagen erwartet, wird auf den ersten Blick enttäuscht sein. Martin besticht hier durch eine sehr einfache Tonsprache und lässt den Chor überwiegend einstimmig singen. Mal klasssisch unisono, mal im Kanon. Doch genau dieser eher schlicht gehaltene Stil vermag es den Zuhörern (und Sängern) umso mehr zu Herzen zu gehen.
Da spielt dann auch der Hintergrund des Werkes eine große Rolle: In terra pax ist eine Auftragskomposition des Französischen Rundfunks zum Kriegsende. Martin vertont hier biblische Texte (z.B. das Vater Unser) in eigener Zusammenstellung und verbindet sie zu einer universalen Bitte um Frieden (In terra pax). Ich habe mich noch nicht näher mit dem Libretto auseinandergesetzt.
Am Ende des Werkes verbinden sich alle Chorstimmen zum Lobpreis Gottes (dt.: "Heilig ist unser Herr, der mächtige Gott, der da war, der ist und der da kommt!") in verschiedenen kanonartigen Kombinationen - selbst hier sieht Martin von komplexer Polyphonie ab und lässt den Chor quasi mit einer Stimme, stellvertretend für den einen Wunsch der Völker der Welt, Gott für den Frieden preisen.


So weit ein paar eigene Gedanken meinerseits. Da für all das natürlich keine 100%ige Gewähr herrscht, kopiere ich euch noch den Infotext von unserer Chor-Homepage hierher:


monteverdichor.com schrieb:
Im Sommer 1944 bat René Dovaz - Direktor von Radio Genf - den schweizer Komponisten Frank Martin (1890-1974) um ein Chorwerk, das am Tage des Waffenstillstandes zum ersten Mal in die Welt gesendet werden sollte. Der Monteverdichor Würzburg wird dieses Werk 2009 in Würzburg zur Aufführung bringen. Der Universitätsbund Würzburg und die Bayerische Staatsregierung fördert dieses besondere Konzert des Monteverdichors.

Frank Martin berichtet über die Anfrage:
»Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, von mir aus in einem solchen Zeitpunkt einen Gegenstand von so brennender Bedeutung zu behandeln. Aber da man mich fragte, ja beauftragte, hatte ich es leicht, an die Ausführung zu gehen. Und mit welcher Freude! Denn ich befand mich fast in der Lage des alten Meisters, der für die Kirche arbeitete. Ich musste das Publikum nicht von der Notwendigkeit eines solchen Werkes überzeugen, ich trug dafür keine Verantwortung. Ich musste nur danach trachten, dem Hörer etwas zu bieten, was dem Tag angemessen war, dem Tag des Friedens mit seiner überbordenden Freude, seiner Angst und den schrecklichen Erinnerungen. Dauer und Besetzung waren mir vorgeschrieben und unterbanden langwieriges Zaudern. Solcherart schrieb ich von August bis Oktober 1944 In terra pax, zeitweise mit den alliierten Armeen um die Wette laufend. Sie ließen mir leider viel zu viel Zeit.«

Für Frank Martin stand fest, dass für einen solchen Anlass nur Bibelworte in Frage kämen. Binnen fünf Tagen stellte er Verse aus Jesaja, den Psalmen, den Evangelien und der Offenbarung des Johannes so zusammen, dass die religiöse Ursprungsbedeutung im Sinne der aktuellen Situation verstanden wurde.

Das Oratorium gliedert sich in vier Abschnitte. Zu Beginn wird die Kriegssituation anhand der vier apokalyptischen Reiter und mit dem Hinweis auf den »Tag des Zorns« dargestellt, und in gewisser Weise klingen in der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung dieses ersten, stark bläserbetonten Teiles Elemente des Überlebenden aus Warschau wieder an. Im zweiten Teil stehen der Ruf zur Umkehr (ohne die es wahren Frieden nicht geben kann), die menschliche Bitte um Erbarmen und die Verheißung des Friedens im Mittelpunkt. Dieser Teil endet mit dem Lob Gottes aus dem 100. Psalm, mit dem man das Werk auch beenden könnte. Dieser Schlusschor des zweiten Teiles beginnt mit Gedanken des Trostes und der Verheißung einer neuen Zeit und endet im Jubel aller Völker.

Faszinierend ist, wie Frank Martin die Musik des Jubels (einen Kanon) bereits in die Orchesterbegleitung des Beginns integriert: In der Verheißung liegt schon der Jubel begründet. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass der Instrumentalist, der zu Beginn das lebensbedrohliche Tamtam schlägt, nun die Friedensglocke läutet.

Der entscheidende dritte Teil ist als »Herzstück« des Oratoriums ganz nach innen gekehrt. In einer großartigen Passacaglia nimmt Martin Gedanken des leidenden Gottesknechtes aus Jesaja 42, 52, 53 auf und lässt dann die Seligpreisungen mit dem Kreuzeswort »Vater, vergib ihnen« und das Vaterunser folgen. Dynamisch und instrumental konzentriert sich die Musik nach innen, bis in den Seligpreisungen und im Vaterunser Solist bzw. die einstimmig singenden Chöre nur noch vom Streichorchester bzw. einem Kammerorchester begleitet werden.

Im vierten und letzten Abschnitt schließlich werden ein neuer Himmel und eine neue Erde prophezeit. Diese Verheißung mündet in das »Heilig ist Gott der Herr« und endet im hoffnungsvollsten Piano. Höhepunkt dieses vierten Teiles ist ein Kinderchor, der das neue menschliche Sein vorstellt: Den Kindern (bei der Uraufführung waren es nur Mädchen, weil sie allein im Jahr 1945 den Status der moralischen Unschuld darstellen konnten) gehört das Reich Gottes und damit die Zukunft.

In terra pax ist als Auftragswerk einerseits natürlich einem bestimmten Zweck, ja sogar einem bestimmten Tag zugeordnet. Frank Martin hat es aber weltumspannender empfunden und nicht nur dem Ende dieses furchtbarsten aller Kriege gewidmet. Er schreibt darüber:

»Ich glaube nicht, dass ich [...] jemals irgendwelche Illusionen hatte über die Art des Friedens, der dem Ende des Krieges folgen würde. Aber dieser Mangel [...] konnte mich nicht an dem Versuch hindern, den Übergang von tiefster Verzweiflung zur Hoffnung auf eine leuchtendere Zukunft auszudrücken. Und das bedeutete dann, dass ich in den Worten Christi die absolute Forderung nach Vergebung [...] aussage, ohne die ein wirklicher Friede unfassbar ist. Aber diese Forderung ist so hoch, dass ihreVerwirklichung auf Erden ohne das Wunder einer vollständigen Umwandlung des menschlichen Denkens und Fühlens nicht vorstellbar ist. So kann für uns ein wahrer Friede nur eine Hoffnung [...] sein, eine Brücke, die in eine unsichere Zukunft geschlagen wird, eine Zukunft, die wir uns aber vorstellen müssen [...], wenn wir auch an ihre irdische und materielle Verwirklichung nicht glauben können. In terra pax ist, wenn man so will, ein Werk für eine bestimmte Gelegenheit. Ich selbst habe es nie als ein solches betrachtet: die Probleme, die Krieg und Frieden aufwerfen, sind ewig. Es gibt nicht nur militärische Kriege, und ist Friede nicht eine ständige Sehnsucht unserer Seelen?«



Ich spreche für alle, die das Werk noch nicht kennen, eine dicke Empfehlung aus. Zunächst war ich selbst enttäuscht, da ich doch eher den groß angelegten Effekt mag, doch die schlichte Schönheit der Tonsprache berührt mich und so werde ich mir demnächst ganz sicher auch eine CD mit Martins In terra pax kaufen.

Einen CD-Tipp habe ich leider nicht. Aber vielleicht kann jemand Anderes kurz eine Aufnahme vorstellen und so in die Diskographie des Werks einführen.
Da ich selbst große Probleme mit der franzsösischen Sprache habe, wäre ich selbst natürlich auch unbedingt an einer Einspielung mit einem französischen Chor interessiert.


Viele Grüße,
Alex.
Kings.Singer
Inventar
#2 erstellt: 22. Jun 2009, 09:25
Schade, habe wohl einen weißen Fleck auf eurer klassischen Landkarte erwischt (obwohl ich mir das irgendwie kaum vorstellen kann )...
pt_concours
Stammgast
#3 erstellt: 15. Jul 2009, 20:41
Hallo Alex,

so ganz unbekannt ist mir das Werk nicht, denn ich habe es auch selber bereits im Chor gesungen. Allerdings ist das schon über 15 Jahre her (und ich war damals noch Knabensopran...). Alles woran ich mich jetzt noch erinnere, ist an ein Konzertprogramm zusammen mit dem "Gloria" von F.POULENC, sowie an einige "typische" Martinsche Klangfarben, eine Mischung aus Strenge mit südlicher Sinnlichkeit (...Westschweiz...)
Allerdings habe ich jetzt (durch Deinen Beitrag) Lust bekommen, das Werk mal wieder zu hören! Ich weiß, dass es hier in einer Bibliothek eine Aufnahme der Kölner Kantorei unter V. Hempfling gibt, diese werde ich mal ausleihen (und dann berichten). Eine kurze Internetrecherche ergab ja, dass es mittlerweile doch einige Einspielungen gibt. Bist Du schon fündig geworden?
Ob es auch eine Aufnahme mit MARTIN selber gibt? Er hat eine ganze Reihe seiner Werke selber für Tonaufnahmen dirigiert oder gespielt (Klavier)-mir sind allein drei CDs bekannt (aber keine enthält dieses Werk...)

Gruß pt_concours

ps: Merkwürdig, während ich diesen Beitrag hier schreibe, erinnere ich mich das Werk vor erst einem Jahr im Konzert gehört zu haben, Abschlusskonzert der Dresdner Musikfestspiele 2008(?) zusammen mit dem „Stabat mater“ von SZYMANOVSKY. Warum war mir das völlig entfallen???
Heinrike
Neuling
#4 erstellt: 16. Nov 2011, 16:16
Hallo Alex,
ich habe erst heute dieses Forum entdeckt. Ich hoffe meine Antwort bringt noch was.
Frank Martin ist seit Anfang der 80er Jahre einer meiner liebsten Komponisten. In der Schule habe ich damals sogar meine Facharbeit über das Wort-Ton-Verhältnis einer Arie aus seinem Oratorium "Golgotha" geschrieben. In dem Chor in dem ich damals war haben wir das 2x gesungen, "In terra pax" einmal und in einem anderen Chor habe ich Teile der genialen doppelchörigen Messe gesungen.
In den 80ern kam ganz viel von Martin im Radio und ich habe auch von Instrumentalstücken zahlreiche Aufnahmen gemacht. Leider logischerweise wie damals üblich auf Kassette. Die werden sicher kaum noch mit Genuss hörbar sein.
Aus dieser Zeit weiß ich aber noch, daß Martin zu seinen Lebzeiten tatsächlich etliche Sachen selbst aufgeführt hat. Da Martin Schweizer war, hat er die meisten Sachen mit dem "L'Orchestre de la Suisse Romande" unter der Leitung von Ernest Ansérmét gemacht .
Bei Amazon gibt es inzwischen zahlreiche Aufnahmen von allen möglichen Werken von Martin.
Ich hoffe das hilft dir auch jetzt noch weiter.
Grüße von Heinrike
Struppix
Schaut ab und zu mal vorbei
#5 erstellt: 08. Jan 2015, 01:51
Hallo, Forum,

wollen wir den Faden doch mal wieder ein bißchen aufwärmen... ;-)

Kann mir jemand eine gute Aufnahme von "In terra pax" empfehlen?

Vielen Dank schon im voraus für Eure Antwort.

Viele Grüße
Struppix

P.S.: Ich glaube, wenn Mozart heute noch leben würde, würde er Dieter Bohlen in die Verbannung schicken!


[Beitrag von Struppix am 08. Jan 2015, 01:54 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#6 erstellt: 08. Jan 2015, 09:35
Ich weiß gar nicht, wieviele Aufnahmen es gibt. Ich habe nur eine unter Ansermet (sollte historisch und kulturell relativ nahe am Komponisten sein), habe die auch schon zwei- oder dreimal gehört, kann aber nicht behaupten, das Stück wirklich zu kennen. (Ich war zunächst verwirrt, weil ich dachte, das sei ein Weihnachtsstück... ist es aber nicht) Die Amazon-Rezension scheint mir aber zu negativ. Vielleicht ist die neuere australische Ausgabe für manche eine attraktivere Kopplung (Honegger)

amazon.de amazon.de


Es gibt anscheinend noch weitere, neuere Aufnahmen, u.a. mit Corboz und eine 3er Box bei Hänssler mit weiteren Oratorien Martins. Als lieferbare Einzel-CD noch diese hier

amazon.de
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