Walter Klien (1928-1991): ein vergessener Pianist?

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pt_concours
Stammgast
#1 erstellt: 28. Nov 2011, 22:29
Der österreichische Walter Klien scheint heute nur noch wenigen bekannt zu sein, auch im Vergleich zu seinen Generationskollegen Brendel, Gulda oder Haebler. Die CD-Reihe "Great Pianists of the 20th Century"“ hatte ihn völlig übergangen ( was mir völlig unverständlich bleibt, aber hier ist nicht der einzige der „vergessen“ wurde...). Der Eindruck, dass die Aufnahmen Walter Kliens (zumindest in Deutschland) heute nur wenigen bekannt sind schien sich auch kürzlich zu bestätigen, als ich eingien Freunden seine Aufnahmen der Klavierwerken Johannes Brahms empfahl.
Klien, der vor 20 Jahren starb, hätte gestern seinen 83. Geburtstag gefeiert. Grund genug Walter Klien heute hier mit einem eigenen Thread zu würdigen.

Ich habe sein Klavierspiel auch eher durch Zufall kennengelernt. In einem sehr preisgünstigen Paket von einem reichlichem Dutzend CDs einer „Kioskserie“- wie das mal jemand in einem anderen Forum treffen bezeichnete- fanden sich etliche mir bis dahin unbekannte Interpreten. Die Serie „Pianoforte- Grandi Compositori/ Grandi Interpreti“ enthielt Aufnahmen von Yves Nath, Rosalyn Tureck, Marcelle Meyer, Vlado Perlemuter, etc. ...und eben auch Walter Klien. Klavierstücke von Brahms: op.21/1 und op.4.

....schafft es Klien für mich wie kein anderer den Werken eine elegische Stimmung zu verleihen, die nach meinem Geschmack Brahms Musik hervorragend charakterisiert. Daneben bietet Klien raffinierte Balance zwischen den Stimmen in den oft vollgriffigen Werken, eine sehr persönliche klare Gliederung der Werkstrukturen- und exzellente Technik. Durch Tempowahl und Agogik wirken seine Interpretationen sehr lebendig, fast wie improvisiert.

Davon wollte ich mehr hören...

So wie viele seiner Aufnahmen heute gar nicht oder nur schwer erhältlich sind, so konnte ich auch nur wenige biographische Information finden.

- am 27. November 1928 in Graz geboren
- 1939 Besuch des musischen Gymnasiums Frankfurt am Main, anschließend dort bis Kriegsende Studium in den Fächern Klavier, Komposition und Dirigieren
- 1946 bis 1948 Fortsetzung des Studiums in Graz
- 1950- 1953 Studium bei Josef Dichler in Wien
- 1987 Joseph-Marx-Preis
- am 10.Februar 1991 stirbt Walter Klien in Wien.

Sein Repertoire beschränkt sich vor allem auf die Komponisten der Wiener Klassik, besonders Mozart und Schubert, aber auch Haydn und Beethoven, sowie auf das Klavierwerk von Brahms. Daneben hat er meines Wissens nur noch von Robert Schumann eine größere Anzahl von Werken eingespielt. Einzelne Platten widmete er u.a. noch Chopin (Préludes), Smetana (Polkas). Klien widmete sich auch intensiv der Kammermusik und dürfte vielleicht sogar deshalb noch etwas bekannter sein, an ein und zwei Klavieren spielte er das bekannte vierhändige Repertoire, z.B. mit Alfred Brendel (Mozart, Brahms, Dvorak) oder mit seiner Frau Beatriz (Brahms, Dvorak, Faure, u.a.), daneben gemeinsam mit dem Geiger Grumiaux (als Nachfolger Clara Haskils) Mozarts Violinsonaten, sowie als Liedbegleiter von Julius Patzak und Hans Hotter. Daneben exisitieren neben einigen Einspielungen verschiedener Klavierkonzerte von Mozart, sowie noch einzelne Konzertwerke von Beethoven, Brahms, Honegger und Stravinsky.

Unter seinen Aufnahmen sind sind sicher besonders folgende Gesamtaufnahmen hervorzuheben:
- das gesamte Soloklavierwerk von Brahms Anfang der 60er Jahre
- alle Klaviersonaten von Mozart Anfang der 60er Jahre
- das gesamte Solo-Variationswerk von Mozart Ende der 60er Jahre
- alle Klaviersonaten von Franz Schubert Anfang der 70er Jahre
- alle Violinsonaten von Mozart gemeinsam mit Grumiaux Anfang der 80er Jahre
(die Aufnahmedaten waren für mich leider nicht genauer ermittelbar)

Neben der GA der Klavierwerke Johannes Brahms und der GA der Klaviersonaten von Franz Schubert besitze oder kenne noch folgende eine CD mit Schumanns: Kreisleriana & Davisbündlertänze, sowie eine Auswahl von Mozart klaviersonaten.

Alle diese CDs höre ich immer wieder mit großer Freude, und wie ich
bereits seine Brahms-Aufnahmen versucht habe sein Spiel zu charakterisieren, gilt auch hier:
eine große Einfachheit und Natürlichkeit, dabei oft frisch-manchmal wirkt es fast improvisiert, dazu feine Balance zwischen den Stimmen und in den musikalischen Phrasen, technische Schwierigkeiten scheint es für ihn in den Werken nicht zu geben.

Ich freue mich auf Eure Erfahrungen und Meinungen zu Walter Klien.
Ich möchte hier seine Aufnahmen ausdrücklich empfehlen.

Gruß petit_concours


[Beitrag von Hüb' am 29. Nov 2011, 08:02 bearbeitet]
Nac93
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 30. Nov 2011, 13:31
Von Klien kenne ich (leider) nur das Variationswerk von Mozart - und diese 3 CDs gefallen mir ausgesprochen gut! Nicht nur habe ich einige verborgene Mozart-Schätze ausgegraben (ist einiges mit Ohrwurmpotenzial mit dabei ), sondern auch einen großartigen Künstler entdeckt. Seine Spielweise empfinde ich persönlich als energiegeladen und vielleicht auch etwas "rau", aber Mozart interpretiert er unprätentiös und ohne jegliche Mätzchen - so gehts auch! Mozart muss ja nicht unbedingt immer zart und in Samthandschuhen angefasst werden (wie bei Uchida, die mir übrigens auch sehr gefällt!).

Das "improvisierende" Element kann ich nur bestätigen! Sein Spiel hat, bei all den herzhaften Akzenten und fleischigen Zugriffen, doch etwas Leichtes und Lebhaftes an sich haften. Bei dem Menuett K.355 fügt er sogar eine Kadenz zwischen den Wiederholungen ein - oder vielleicht hat er hier wirklich improvisiert!

Jedenfalls war dieses Set eine große Überraschung für mich! Im Nachhinein habe ich dann auch noch gesehen, dass der Penguin Guide dieser Box eine Rosette verliehen hat...! Für knapp 10 Euro inkl. Versand neu auf amazon sollte hier eigentlich jeder Mozartfan zugreifen.

Es freut mich, petite_concours, dass du hier einen Thread über diesen wahrhaftig untergegangenen Pianisten aufgemacht hast. Ich habe ihn ja auch sozusagen durch Zufall entdeckt. Jedenfalls stehen seine Brahms-Aufnahmen ganz oben auf meiner Wunschliste. Und oh Wunder, ich sehe gerade, dass der Penguin Guide hier auch mit einer Rosette zugeschlagen hat
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 05. Dez 2011, 17:31
Von Klien besitze ich 2 CDs Haydneinspielungen, die auf einer Membranbox mit drauf waren. Diese Einspielungen erscheinen mir recht ordentlich zu sein und ich höre die 52. Klaviersonate lieber mit ihm als mit Sviatoslav Richter. "Große Einfachheit und Natürlichkeit"? Mag sein, anderseits muß ich sagen, daß von seinem Klavierspiel für mich wenig Faszination ausgeht. Das ist etwa ein Unterschied zu Richter, den ich oft etwas "spekulativ" finde, was mal großartig und ist und ich mal weniger überzeugend finde. Aber zum Beispiel in diesen "irgendwie verschleppten Trillern" in der 44. Sonate einfach großartig, wo Klien vergleichsweise blaß bleibt. Auch diese Rena Kyriouku fand ich wesentlich faszinierender als Klien, selbst diesen Bart von Oort. Haydn braucht jemanden, der ihn von dem Papa Haydn mäßigen rettet, Klien schien mir dafür nicht der richtige Mann zu sein. Aber ich will in seinen Haydn gerne noch mal rein hören, nach so viel guten Anregungen, vielleicht entdecke ich in diesen Interpretationen ja noch mehr.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 05. Dez 2011, 17:32 bearbeitet]
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