Mahler, Gustav : Die Sinfonie Nr. 5 und ihr Tod in Venedig

+A -A
Autor
Beitrag
Antracis
Stammgast
#1 erstellt: 11. Jun 2004, 14:30
Guten Tag liebe Mahlerfreunde, Mahlerskeptiker und Mahlergegner.

Da Wilfried kürzlich im "Heute gekauft"-Thread Infos zur klanglichen Qualität einer Einspielung der fünften Sinfonie unter Abbado erfragte bietet sich doch an, das Thema gleich mal allgemein zu beleuchten.

Das Adagettio, der vierte Satz der Sinfonie ist wohl das am meisten von Radiostationen gespielte Stück von Mahler - in gewisser Weise zu Tode gedudelt, da als Filmmusik in Viscontis Verfilmung der Thomas Mann - Novelle "Tod in Venedig" zu Ruhm und Bekanntheit gelangt. Tristanzitate und entsprechende Partiturnotizen weisen es als Liebeserklärung für Alma aus.

Dabei hat die Sinfonie durchaus mehr zu bieten. Ich habe vor allem den zweiten Satz ins Herz geschlossen, da sich in Ihm in den schier endlosen Variationen des Themas die grandiose Instrumentationskunst des Meisters aufs trefflichste spiegelt. Da werden einzelne Stimmen während des Themas zwischen den Instrumentengruppen weitergereicht, Mahler "malt" Klangfarben mit kleinsten Pinselstrichen, die klangliche Fülle wächst bis hin zum Choral beständig.
Trotzdem blieb mir der Zugang zu dieser Sinfonie ,obwohl glühender Mahler-Verehrer ,lange verwehrt. Und ich schließe nicht aus, dass ein Grund dafür die aus meiner Sicht wenig geglückte Einspielung von Abbado bei der DG ist, die ich lange Zeit als einzige Aufnahme besaß.



So sehr ich viele von Abbados Mahleraufnahmen bevorzuge (vor allem die 7. und die 9. in den neuen Berliner Einspielungen, vor wenigen Tagen hörte ich eine beeindruckende "Sechste" live in Berlin), langweilt mich diese doch sehr. Der "Marsch" im ersten Satz nimmt mich rhythmisch nicht ein, das Scherzo geht irgendwie an mir vorbei und mit der Deutung des Finales kann ich noch weniger Anfangen. Das quält sich halt irgendwie zu Ende. Meiner Ansicht nach ist hier in der ganzen Sinfonie der passende Grundpuls verfehlt, akzeptable Tempi nicht gefunden.

Große Freude bereitet mit dagegen immer wieder die folgende Einspielung unter Barbirolli:






Er wählt ausgesprochen behäbige Tempi, die der Musik allerdings voll angemessen sind. Der Trauermarsch "schleppt" sich generegemäß dahin, der zweite Satz ist wirklich aufgewühlt. Das Adagietto dagegen wird ungewöhnlich schnell genommen. Endlich aber gibt das Finale "Sinn". Im behäbigen Tempo genommen ist es keineswegs der oft gehörte Freundentaumel, sondern ein eher an Schostakowitschs doppelbödige "freudenvolle Kehraussätze" mahnender fast schon sarkastischer Ausklang. (Der eigentlich "Schluss" ist ja auch irgendwie musikalisch zu platt, als dass man Ihn ernst nehmen könnte)
Eine großartige Aufnahme, die auch klanglich durchaus akzeptabel ist, obwohl 1969 in einem Rathaus produziert.

Und nun Ihr: Wie gefällt Euch die Sinfonie, welche Einspielung bevorzugt Ihr ?

Gruß
Anti


[Beitrag von Antracis am 11. Jun 2004, 23:57 bearbeitet]
Norbert2
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 11. Jun 2004, 20:21
Au fein .

Ich liebe Mahler, ich liebe die 5. Sinfonie und am allermeisten liebe ich die Aufnahme mit Riccardo Chailly.

Das Concertgebouw Orchester zeigt, weswegen es von vielen Musikliebhabern als bestes Mahler-Orchester Europas gesehen wird. Das Orchesterspiel ist phänomenal und ungeheuer klangschön (nebenbei klingt die Aufnahme superb). Bei allem Wohlklang geht allerdings kein Detail verloren, die Transparenz des Orchesterspiels ist schon beeindruckend.

Chailly zeigt einen "Mahler der Mitte" und bewegt sich quasi zwischen den Antipoden Bernstein und Solti. Chailly ist nicht so emotional wie Bernstein und nicht so brutal fordernd wie Solti, aber es gelingt ihm durchaus, eine eigene Sichtweise zu präsentieren, die ibs, auf Transparenz des Orchestersatzzes ausgerichtet ist.

Aber wo ich schon Bernstein und Solti ansprach: Bernstein ist mir igs. zu langsam (in der Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern), und Solti hatte in der 1970er Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra das ideale Betätigungsfeld für sein Temperament und sein Gefühl für Rhythmus gefunden. Es entstand eine vorwärtsdrägende, nervöse Einspielung, die mir sehr gut gefällt.

Rattle hingegen hat mich enttäuscht. Ich kann die Euphorie, die die Live-Aufnahme ausgelöst hat, nicht nachvollziehen, denn
1. klingt sie schlecht (zu weit weg und sehr wenig transparent) und
2. finde ich in der Interpretation nichts, was das "Rattle-spezifische" darstellt.
Aber wahrscheinlich muß man das Konzert "livehaftig" miterlebt haben, um die Begeisterung, die die Konzerte ausgelöst haben, nachvollziehen zu können.

Vor etlichen Jahren hörte ich Mahlers 5. mit Gary Bertini und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Das Konzert war ein großartiges Ereignis, die CD-Einspielung mit dem WDR-Sinfonieorchester hingegen reicht an die Spitzenaufnahmen nicht ganz heran.
Antracis
Stammgast
#3 erstellt: 11. Jun 2004, 23:56
Hallo Norbert


Rattle hingegen hat mich enttäuscht. Ich kann die Euphorie, die die Live-Aufnahme ausgelöst hat, nicht nachvollziehen, denn
1. klingt sie schlecht (zu weit weg und sehr wenig transparent) und
2. finde ich in der Interpretation nichts, was das "Rattle-spezifische" darstellt.
Aber wahrscheinlich muß man das Konzert "livehaftig" miterlebt haben, um die Begeisterung, die die Konzerte ausgelöst haben, nachvollziehen zu können.


Sehr wahrscheinlich ist es so. Ich war mit meiner Freundin damals live anwesend und wir beide waren hellauf begeistert. Es war halt eine "Aufbruchsstimmung". Ein neuer Chef, ein hochmotiviertes Orchester, ein gespanntes Publikum. Ich erinnere mich noch immer sehr positiv an den Abend.
Allerdings - und das spricht Bände - habe ich ca. einen Monat danach eine Aufnahme dieser Sinfonie gesucht und mich letztendlich gegen Rattle und für Barbirolli entschieden - und das vor allem deshalb, weil mich Rattles Interpretation dann auf der CD doch nicht mehr so begeistern konnte.
"Live" kommen halt dann doch auch noch andere Faktoren dazu, die einen zur Euphorie treiben, die man vielleicht beim wiederholten Hören des Ereignisses gar nicht so objektivieren kann. In Chaillys Mahler werde ich mal reinhören, da ich auch eine hohe Meinung vom Concertgebouw habe.

Gruß
Anti


[Beitrag von Antracis am 12. Jun 2004, 00:00 bearbeitet]
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 12. Jun 2004, 00:36
Hallo anti,

vielleicht werden nicht alle mit mir einer Meinung sein, aber mir gefällt von menínen 3 vorhandenen Einspielungen, diese am besten.
Ich hab schon geglaubt sie wäre gestrichen, die Serie Resonance ist ja etwas eigenartig: Nirgends scheint sie auf, aber dann findet man die doch immer wieder vereinzelt.

jpc führt sioe offensichtlich nicht, jedoch bei amazon wurde ich fündig.


amazon.de

Gleich eine Warnung: Wenn man sich mittels "Real-Player" einen Eindruck verschaffen möchte, so ist der eher abschreckend. Glücklicherweise hat der so gut wie nichts mit dem zu tun, was dann auf der CD geboten wird.
Der Klang ist eher feinzeichnend durchsichtig als dick.
Die Aufnahme stammt aus dem berühmten Zyklus der 60er Jahre, von dem auch noch die 1 (The Originals) und die 4. (eloquence), sowie die 2. (auch eloquence, jedoch klanglich etwas schlechter als die anderen)zu haben sind.
Reinhören, aber beim Händler , das ist mein Rat, übrigens sollte der Preis sowieso im Budgetbereich angesiedelt sein.

Gruß aus Wien
Alfred
zoe
Ist häufiger hier
#5 erstellt: 12. Jun 2004, 08:43
Wenn wir schon in der Reihe der etwas unbekannteren Aufnahmen sind, kann ich hinzufügen:

vergesst mir den Järvi nicht. (Chandos mit dem Scottish National).
Von den 3en, die ich habe (+Bernstein (zu langsam excellentes Orchester, +Inbal(weniger der notwendigen Bässe, Orchester -) sagt mir diese Aufnahme am meisten zu.
Abgrundtiefe Bässe, tempi gerade richtig, unbekannteres, aber excellentes Orchester. Rattle ist zwar nur bis Birmingham gekommen, aber Järvi hat da erhebliches geleistet

Der Klage über die miserablen reals oder mp3s von Amazon.de kann ich mich nur anschliessen. Das gleich gilt für amazon.fr , wo eine ungenügende Aufnahmetechnik die Qualität von tausenden von Aufnahmen in die Pfanne haut und dem Hörer einen falschen Eindruck vermittelt von dem, was sie ja eigentlich aufgrund des Hörerlebnisses kaufen sollen.
Ich sollte es ja eigentlich in einer Mahlerdiskussion nicht tun, aber da bin ich schon ein bisschen stolz auf (die technische Qualität) meiner Aufnahmen (mit Synthesizern gespielt): http://zollnersmusic.homeunix.com/beetpsappassbatt.mp3

Grüsse aus Strasbourg

zoe





Hallo anti,

vielleicht werden nicht alle mit mir einer Meinung sein, aber mir gefällt von menínen 3 vorhandenen Einspielungen, diese am besten.

Gleich eine Warnung: Wenn man sich mittels "Real-Player" einen Eindruck verschaffen möchte, so ist der eher abschreckend. Glücklicherweise hat der so gut wie nichts mit dem zu tun, was dann auf der CD geboten wird.


Gruß aus Wien
Alfred
BigBerlinBear
Stammgast
#6 erstellt: 12. Jun 2004, 12:57

vielleicht werden nicht alle mit mir einer Meinung sein, aber mir gefällt von menínen 3 vorhandenen Einspielungen, diese am besten.
Ich hab schon geglaubt sie wäre gestrichen, die Serie Resonance ist ja etwas eigenartig: Nirgends scheint sie auf, aber dann findet man die doch immer wieder vereinzelt.
Gruß aus Wien
Alfred



Sehr schön: endlich einmal ein längst überfälliger Hinweis auf Rafael Kubelik als Mahler-Dirigent ! Wenn ich eine Gesamteinspielung der Mahler-Sinfonien empfehlen würde, dann diese vor allen anderen ! Kubelik verfügt über BEIDES, was eine Mahler-Interpretion zum Ereignis werden lässt: über den Klangsinn und die Sensibilitiät eines C.M. Giulini und zu (wenn auch immer kontrollierten ) Ausbrüchen ala Solti
ist er ebenfalls fähig. In dieser Aufnahme stehen grelle Farben, krasse Akzente (Trauermarsch) neben einem wunderbaren Fliessen der eher verschatteten Sätze und genau aus diesen Gegensätzen bildet sich eine Einheit, die keinen Moment Langeweile aufkommen lässt. Ich hab die Scheibe eben noch mal als Geschenk für 3 Euro bei Amazon.de erworben


[Beitrag von BigBerlinBear am 12. Jun 2004, 12:58 bearbeitet]
Norbert2
Ist häufiger hier
#7 erstellt: 12. Jun 2004, 13:42
Kubelik war ein begnadeter Mahler-Dirigent.

Das große Problem der DG-Aufnahmen ist imo der sehr dünne Klang, der den Mahler Sinfonien eine gewisse "Leichtgewichtigkeit" verlieh.
Es mag angehen, daß die Klangqualität der CDs inzwischen verbessert worden ist, aber es gibt zum Glück noch eine Alternative.

Bei www.audite.de wurden alle Mahler-Sinfonien herausgegeben als Live-Mitschnitte von Konzerten mit dem Sinfonieorchester des Bayer. Rundfunks.

Ich selbst besitze die 3., 7. Sinfonie und das Lied der Erde (sonst nicht mit Kubelik erhältlich) und bin begeistert.
Hilda
Stammgast
#8 erstellt: 12. Jun 2004, 14:09
Ich habe auch die audite-Version der dritten und kann Norbert nur zustimmen.

Was die fünfte betrifft, müsste ich mal wieder in den Barbirolli reinhören - da hab' ich gar nix in Erinnerung. Den Chailly mag ich auch sehr gern. Meine erste war Maazel mit den Wienern, da hab' ich auch eine sentimentale Vorliebe dafür...

Wenn die nicht so teuer wären, hätte ich die anderen schon - ich finde immer zuviel interessante Sonderangebote und hab' dann kein Geld mehr für sowas

Gruss
Klaus
Suche:
Das könnte Dich auch interessieren:
Mahler, Gustav: 10. Sinfonie
Martin2 am 21.09.2007  –  Letzte Antwort am 19.02.2010  –  17 Beiträge
Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 1 "Interpretation?"
Phaidros am 16.09.2004  –  Letzte Antwort am 18.09.2004  –  7 Beiträge
Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 9 / Riccardo Chailly
Joe_Brösel am 30.09.2004  –  Letzte Antwort am 06.10.2004  –  8 Beiträge
Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 1 "Titan"
Alfred_Schmidt am 23.03.2004  –  Letzte Antwort am 10.03.2009  –  47 Beiträge
Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 9 D-Dur
vanrolf am 01.08.2004  –  Letzte Antwort am 15.01.2022  –  51 Beiträge
Mahler: Sinfonie Nr. 6
embe am 02.12.2003  –  Letzte Antwort am 08.08.2014  –  139 Beiträge
Mahler: Sinfonie Nr . 2
marischen83 am 01.06.2004  –  Letzte Antwort am 02.06.2004  –  4 Beiträge
Mahler: Sinfonie Nr. 2
Alfred_Schmidt am 14.02.2004  –  Letzte Antwort am 19.10.2023  –  133 Beiträge
Mahler: Sinfonie Nr. 6
Scarpia am 20.12.2006  –  Letzte Antwort am 21.12.2006  –  4 Beiträge
Mahler, Gustav: 10. Sinfonie - Fassungen der rekonstruierten Sinfonie
musiccreator am 31.10.2009  –  Letzte Antwort am 06.02.2010  –  7 Beiträge
Foren Archiv
2004

Anzeige

Aktuelle Aktion

Partner Widget schließen

  • beyerdynamic Logo
  • DALI Logo
  • SAMSUNG Logo
  • TCL Logo

Forumsstatistik Widget schließen

  • Registrierte Mitglieder927.099 ( Heute: )
  • Neuestes MitgliedHänge-Reh
  • Gesamtzahl an Themen1.554.770
  • Gesamtzahl an Beiträgen21.621.397