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Ligeti, György (1923 - 2006)+A -A |
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Autor |
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vanrolf
Inventar |
#1 erstellt: 12. Jun 2006, 19:38 | |||
Der Komponist György Ligeti ist heute morgen im Alter von 83 Jahren in Wien verstorben. Ligety zählte zu den ganz großen Namen zeitgenössischer Musik, er wirkte bis zuletzt als Komponist der sog. Avantgarde und lehrte jahrelang Komposition in Hamburg. Seine Werke wurden für einen Modernen verhältnismäßig oft aufgeführt und fanden vor allem seit den 1960er Jahren weltweite Verbreitung. Auch im Film konnte man seither öfter Ligeti-Kompositionen hören, berühmt ist Stanley Kubrick`s Verwendung von "Lux Aeterna" und "Athmosphères" in seinem 1968er Meisterwerk "2001". Eine adäquate Würdigung Ligetis gab es hier im Forum bislang noch nicht. Wer kennt Werke und Einspielungen, was haltet Ihr von Ligeti überhaupt und wie schätzt Ihr seinen Stellenwert als Komponist der Avantgarde des 20. Jahrhunderts ein? Gruß Rolf |
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Gantz_Graf
Hat sich gelöscht |
#2 erstellt: 12. Jun 2006, 19:49 | |||
"Avantgarde" - Etwas, bei dem ich schnell die Flucht ergreife, das liegt aber an denen, die sowas anzieht, nicht am Künstler. Ligeti: Da kann ich nicht mitreden. Aber ist das nicht einer, dessen Werk ich so vor ein paar Monaten im Rahmen irgendeiner NDR/WDR/Weisnichtmehr Aufführreihe im Fernsehen sah? Ich erinnere mich an musikalisch grauenhafte Geräuschansammlungen. Unter anderem wurden am Ende des Stückes Klavierseiten mit Bürsten gebürstet. Muss aber nicht Ligeti gewesen sein... |
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G-Kiselev
Hat sich gelöscht |
#3 erstellt: 12. Jun 2006, 19:57 | |||
Ich spiele selber gerade die "Musica Ricercata" für Klavier, ein Frühwerk, aber prinzipiell kenn ich Ligeti auch nicht so gut, mehr vom Lesen als vom Hören. |
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ph.s.
Inventar |
#4 erstellt: 12. Jun 2006, 20:51 | |||
Hallo, ich habe ihn das erste Mal bei einem Konzert nach Beethovens Hammerklaviersonate gehört. Es waren Etüden gespielt von Pierre-Laurent Aimard. Mir gefiel diese Mischung aus Virtuosität und Komplexität der Rhythmik und des Klangs. Obwohl die Etüden modern klangen, erinnerten sie mich an Schumanns, Chopins oder Debussys Werke dieser Gattung. Ich habe mich seit dem nicht mehr mit seiner Musik beschäftigt; keine Ahnung wieso!? Wo doch der erste Eindruck klar positiv für mich war; mir gefielen die Etüden ja sehr gut. Wird wohl Zeit, dass ich das nachhole! Gruß Philipp |
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WolfgangZ
Inventar |
#5 erstellt: 12. Jun 2006, 23:04 | |||
Hallo, Ligeti war ähnlich wie Strawinsky sehr anpassungsfähig an unterschiedliche Strömungen. In den Sechzigern entstand experimentelle Orchestermusik, die mit Clustern und minimalistischen Verschiebungen arbeiten und - wie allein der Titel "Atmospheres" belegt - primär auf Klangfarben bezogen sind. Hier ist eine gewisse Offenheit für Avantgardistisches schon Hörbedingung. Stärker melodisch orientiert ist etwa sein Klavierkonzert. Seine Stücke für Bläserquintett sind unmittelbar eingängige Spielmusik. Auch spontan attraktiv erscheinen die rhythmisch komplexen, aber wirkungsvollen Cembalokompositionen wie "Continuum" oder "Hungarian Rock" aus den späten Siebzigern. Unter den Avantgardisten der letzten fünfzig Jahre war Ligeti sicher einer der Genialen und Wirkungsvollsten. Es gibt jetzt eine CD-Serie bei Teldec unter dem Titel "The Ligeti Project". Die folgende beispielsweise kann ich empfehlen: Besten Gruß, Wolfgang |
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Zaaach
Ist häufiger hier |
#6 erstellt: 13. Jun 2006, 09:26 | |||
Die beiden hab ich: Beide sehr empfehlenswert. Die CD mit Kammerkonzert usw. für Ligeti-Einsteiger vielleicht noch besser, weil sie die Bandbreite von Ligetis Schaffen gut vermittelt. Gut, mit den Aventures kann ich nicht viel anfangen, diese Vokalexperimente, das scheint mir doch sehr zeitbezogen zu sein und wirkt heute etwas "zwangsavantgardistisch". Aber das 2. Steichquartett oder die Ramifications teilen sich wirklich unmittelbar auch auf einer sinnlichen Ebene mit und haben gar nichts spröd-intellektualistisches, was man mit Musik dieser Zeit assoziieren könnte. Toll natürich auch das Requiem, das in 2001 ja auch vorkommt (an der Stelle, wenn die Affenmenschen den Monolithen entdecken), ich hab es mal live mit den BPh unter Nott gehört und das war eines meiner beeindruckendsten Konzerterlebnisse (gibt's auch im Ligeti Project). |
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vanrolf
Inventar |
#7 erstellt: 13. Jun 2006, 10:12 | |||
Hallo, Die "Ligeti-Project"-CDs waren vor kurzem bei jpc für nur € 2,99 zu bekommen, jetzt sind sie wieder Vollpreis, leider. Die von Zaaach vorgestellte DG-CD aus der Serie "20th entury Classics" besitze ich auch und finde sie ebenfalls empfehlenswert. Daneben habe ich noch den bekannten Soundtrack des "2001"-Films, der die Stücke "Lux Aeterna", "Athmospheres" und das angesprochene "Requiem für Sopran, Mezzosopran, zwei gemischte Chöre und Orchester" enthält. Der Film war meine erste Begegnung mit Ligetis Musik, als in Sachen "Moderne" damals noch völlig Unbedarfter ich habe mir diese Aufnahmen dann schnellstmöglichst besorgt. Die CD hat mir auch den Einstieg bei Khachaturian (Gayane-Suite) ermöglicht. Gruß Rolf |
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Zaaach
Ist häufiger hier |
#8 erstellt: 13. Jun 2006, 10:20 | |||
Ja, da hab ich mir auch in den ... gebissen, daß ich da nicht zugeschlagen hab ! |
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Zerebralzebra
Hat sich gelöscht |
#9 erstellt: 13. Jun 2006, 15:37 | |||
Hallo, Ich habe Ligeti auch durch den Film 2001 kennengelernt. Ich sehe ihn immer wieder gerne, auch wenn ich diejenigen verstehen kann, die ihn langweilig finden. Das Lux aeterna und/oder das Requiem erklingen glaube ich immer, wenn so ein Monolith auftaucht. Und Bowmans wundersamer Flug zum Jupiter gegen Ende des Films wird von den Atmosphères untermalt. off topic: Weiß jemand, welche Musik erklingt, wenn das Raumschiff zu Beginn der Jupiter-Mission gezeigt wird? Ich meine nicht Strauß jr.s "An der schönen blauen Donau", sondern dieses sich lang hinziehende, herrlich deprimierende Orchesterstück, das die Athmosphäre der Einsamkeit im Weltall unterstützt. Ist es vielleicht der Khatchaturian? Gruß, Z. |
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vanrolf
Inventar |
#10 erstellt: 13. Jun 2006, 15:49 | |||
Hallo Z, ja, genau das ist es, das Adagio aus der "Gayaneh"-Ballet Suite. Im Film wurde eine Einspielung der Leningrader Philharmonie unter Gennadi Roshdestvensky verwendet. Ein Traum von einem Stück, es ist mir immer sehr nahe gegangen. Rein athmosphärisch weckt es bei mir Erinnerungen an so manche langsame Stelle bei Schostakowitsch. Gruß Rolf |
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Zerebralzebra
Hat sich gelöscht |
#11 erstellt: 13. Jun 2006, 16:13 | |||
Vielen Dank für die schnelle Antwort. Bisher bin ich zu Komponisten, die ich als neoklassisch bzw. Volksmusik verwendend eingestuft habe, eher auf Distanz gegangen. Das war wohl ein Fehler. Die frühen sechs Bagatellen für Bläserquintett (1953) von Ligeti gehören ja auch noch in diese Richtung. Ich finde sie als virtuose Stücke schon reizvoll, halte aber die 10 Stücke für Bläserquintett (1968) für wichtiger, weil sie neue Klangwelten erschließen. Ich habe beide Werke auf einer CD aus der Ligeti-Edition von Sony (1998). Im Booklet heißt es, dass man die Stücke für Bläserquintett wohl gar nicht adäquat auf Tonträger bringen könne, weil es da mitunter Klänge gäbe, die auf bestimmte Interferenzphänomene zurückgehen. Gruß, Z. |
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Thomas228
Stammgast |
#12 erstellt: 13. Jun 2006, 18:42 | |||
Hallo Leute, mir kommt Ligeti bislang zu schlecht weg. Er war nicht irgendsoein Avantgarde-Spinner, sondern einer der bedeutensten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der enorm vielfältig - das hat Wolfgang sehr schön dargestellt - und mit fantastischem Gedanken- und Ideenreichtum komponiert hat. Sicher: Manche Stücke sind schwer zugänglich und für einen Laien kaum mehr zu verstehen. Aber: Die Beschäftigung mit seinen Stücken lohnt. Jedenfalls Athmospheres und wohl auch Lontano muss man kennen. Salopp ausgedrückt: Wenn die Klangwolke bei Athmospheres durch den Raum wabert, haut es mich immer wieder von den Socken - hinreichend gute Qualität der Anlage und hinreichende Lautstärke vorausgesetzt. Ich selbst besitze die ersten vier CDs der Teldec-Project-Reihe und bin mit jeder sehr zufrieden, auch mit der Aufnahme von Athmospheres. Diese wird gern kritisiert. Ich kann das mangels Vergleichsaufnahme nicht beurteilen, bin wie gesagt zufrieden. Der Klang ist jedenfalls unstreitig deutlich besser als der auf der alten Bour-Wergo-Aufnahme. Die Teldec-Reihe ist nebenbei bemerkt als Folgeserie entstanden, nachdem Sony das Ligeti-Aufnahme-Projekt eingestellt hatte. Eine kleine Geschichte zum Abschluss: Meine Nachbarn, ein redliches und allseits interessiertes Deutschland-Funk-Hörer-Ehepaar um die 60, von Klassik ziemlich unbeleckt, sind auf verschlungenen Wegen zu Karten für eine Aufführung der beiden Streichquartette mit dem Artemis-Quartett gekommen, die vor zwei, drei Jahren in Hamburg stattfand. Das Besondere: Die Quartette wurden nicht nur gespielt, sondern auch im Einzelnen besprochen, mit Klangbeispielen. Ergebnis: Meine Nachbarn waren begeistert und haben eine Zeitlang vor allem Ligeti, seither auch vermehrt andere Klassik gehört. Man sieht: Die Beschäftigung mit Ligeti lohnt. Die Aufnahme der Streichquartette mit dem Artemis-Quartett ist übrigens seinerzeit sehr gelobt worden. Bei mir steht sie noch auf der Wunschliste. Gruß Thomas |
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peet_g
Stammgast |
#13 erstellt: 14. Jun 2006, 09:01 | |||
Angesichts immer derselben Floskeln in den Nachrufen stellt sich die Frage, was wäre aus der Berühmtheit Ligetis geworden, falls Kubrick seine Musik nicht so wundervoll übernommen hätte? |
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Zaaach
Ist häufiger hier |
#14 erstellt: 14. Jun 2006, 11:56 | |||
Also ein Nobody war Ligeti vor "2001" ja auch nicht gerade. Ich denke schon, daß er auch ohne Kubrick als "Klassiker der Moderne" wie Boulez, Stockhausen, Lutoslawski u.a. anerkannt wäre. Sein unverwechselbarer Stil mit den changierenden Klangflächenbildungen und den Kontrastsetzungen von motorischer Bewegung gegen statisches Verharren hat sich doch (mit allen Wandlungen im Lauf der Jahre) auch im Konzertsaal (auch unabhängig von den 3 bei Kubrick verwendeten Stücken) durchgesetzt. Ich bin jedenfalls alles andere als ein Experte für neue Musik und bin da auch nicht sehr auf dem Laufenden, aber Ligeti spricht mich an, obwohl (oder weil?) er sicher nichts Epigonales an sich hat, sondern neue Klangmittel entwickelt hat. |
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Thomas228
Stammgast |
#15 erstellt: 14. Jun 2006, 16:14 | |||
Ich kenne Atmosperes, aber nicht den Film 2001. Nun gut, vor Jahren habe ich mal den Anfang gesehen, fand den aber so langweilig, dass ich nicht weitergeguckt habe. Auf mich wirkte HAL nicht bedrohlich, sondern nur unfreiwillig komisch, wohl weil die Technik auf mich so veraltet wirkte. Zur Erklärung: Ich bin 1970 geboren. Als ich begann, Filme zu sehen, war man computertechnisch schon viel weiter. Die Frage bleibt: Wäre ich überhaupt auf Atmospheres gestoßen, wenn Kubrick das Stück nicht popularisiert hätte? Vielleicht schon. Immerhin trug die Uraufführung von Atmospheres 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen alle Züge des Sensationellen (so Dibelius in: Moderne Musik nach 1945).Atmospheres war eben kein Stück, das für die Schublade komponiert wurde und dort unbeachtet liegenblieb, bis Kubrick es entdeckte, sondern von Anfang an und völlig unabhängig von Kubrick ein aufsehenerregender und bedeutender Beitrag zur aktuellen musikalischen Debatte. Thomas |
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vanrolf
Inventar |
#16 erstellt: 14. Jun 2006, 21:35 | |||
Hmm, wenn Du nur den Anfang gesehen hast, kannst Du von HAL eigentlich nicht viel mitbekommen haben, da der erst viel später auftaucht. Nun gut, ich persönlich fand und finde den Film nach wie vor einfach genial. Aber egal, es gab immer schon die einen, die den Film totlangweilig fanden und die anderen, die vom ersten Bild an völlig hin und weg waren. Jedenfalls, ohne den Film wäre ich sicher erst viel später auf Ligeti gestoßen, und Stücke wie "Lux Aeterna" oder "Athmosphères" wirken absolut auch ohne visuelle Dreingaben. Gruß Rolf |
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Thomas228
Stammgast |
#17 erstellt: 15. Jun 2006, 08:40 | |||
Wie lange ich wirklich geguckt habe, erinnere ich nicht mehr. Ist schon Jahre her. Bis HAL bin ich jedenfalls gekommen. Vielleicht hätte ich schreiben sollen, dass ich den Film nicht zuende gesehen habe. Gruß, Thomas |
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peet_g
Stammgast |
#18 erstellt: 15. Jun 2006, 10:02 | |||
Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich den genialen Film viel-viel später entdeckt habe als Ligeti, und aus der Erfahrung weiß, dass für sehr viele Zuhörer der Film den Weg zu Ligeti ebnete. Deswegen sind meine Erfahrungen mit der Musik von Ligeti und meine Begeisterung dafür nicht exemplarisch. Das ist der Hintergrund für meine Frage oben. :-) |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#19 erstellt: 18. Jun 2006, 14:38 | |||
Als ich als Teenager die Musik von György Ligeti entdeckte, wurde er für mich sehr schnell zu einem der ersten meiner ganz großen "Helden" der Neuen Musik; später in Köln konnte ich ihn bei einer Podiumsdiskussion anlässlich seines 75. Geburtstags live erleben und war berührt von der großen Bescheidenheit, dem hintersinnigen Witz, aber auch dem tiefen Ernst dieser Persönlichkeit. Sicherlich ist Ligeti einer der bedeutendsten und eigenwilligsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Heute will ich nur ein paar Werke und Einspielungen nennen, die ein wenig die Vielseitigkeit seiner ebenso plastischen wie farbenreichen Musik umreißen mögen: In seinen ersten Kölner Jahren hat Ligeti einige wenige Stücke elektroakustischer Musik komponiert: so auch die 1958 entstandene kurze Etüde "Artikulation", die das zu dieser Zeit bei vielen anderen Komponisten noch eher spröde angewandte elektronische Medium in erstaunlich witziger Weise zur Simulation sprachähnlicher Klänge verwendet. (Das Stück findet sich unter anderem auf der Sammel-CD "Cologne-WDR" der Serie "Acousmatrix - history of electronic music IV", BVHaast 9106). Zu den frühen Klangfarbenkompositionen gehört neben den Orchesterwerken "Atmosphères" und "Lontano" auch das rein graphisch notierte Orgelstück "Volumina" (dessen Göteborger Uraufführung übrigens wegen einer unzureichenden elektrischen Sicherung und dadurch durchschmorenden Kabeln in einen Kirchenbrand mündete), das unter anderem in einer spektakulären Einspielung mit Zsigmond Szathmáry (Sony Classical SK 62307) vorliegt; auf der gleichen CD findet sich neben weiteren Orgel- und Klavierwerken auch das irrwitzig rasante Cembalostück "Continuum", gespielt von Elisabeth Chojnacka. Wie Ligeti in den siebziger Jahren die nur scheinbar flächige Mikropholyphonie seiner frühen Orchestermusik zu einem changierenden Spiel zwischen amorphen Linien und greifbaren motivischen Gestalten weiterentwickelte, dokumentiert für mich am eindrucksvollsten die 1973/74 entstandene "San Francisco Polyphony" - ein für Ligeti ungewöhnlich "expressionistisches" gestenreiches Stück. Sie findet sich beispielsweise auf einer schönen CD der Berliner Philharmoniker unter Jonathan Nott (Teldec Classics 857-88261-2), die unter anderem auch noch "Atmosphères" und "Lontano" enthält. Ein imposantes Beispiel für den Ligeti der späten achtziger Jahre ist das Klavierkonzert, in dem der Komponist ein witziges Spiel mit vertrackten polyrhythmischen Strukturen von manchmal beinahe ragtime-artiger Rasanz, verrückten Klangfarben (inklusive Trillerpfeife und Melodika!) und geradezu atemberaubender Virtuosität entfaltet. (Ensemble Modern, Sony Classical SK 58 945) Es gibt also viel zu entdecken und hören! Viel Vergnügen dabei wünscht Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 18. Jun 2006, 16:14 bearbeitet] |
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antiphysis
Stammgast |
#20 erstellt: 02. Jul 2006, 20:17 | |||
Meine erste Begegnung mit Ligeti kam durch Kubricks Film "Shining" zustande (außerdem finden sich dort Ausschnitte von Werken Pendereckis und Bartóks). Für mich war das eine Offenbarung! Seither habe ich mich mit jedem Werk Ligetis befasst, dessen ich habhaft werden konnte. Ligeti war ein unglaublich virtuoser Komponist und Avantgardist - und das oft mit viel Sinn für Humor. Seine Werke können einen sowohl verschrecken, als auch in ihren Bann ziehen. Kubrick wusste um die suggestive Wirkung der Musik Ligetis und hat sie darum verwendet. Ligeti wird sicherlich einer der Komponisten der 2. Hälfte des 20. Jahrunderts sein, die einen bleibenden Stellenwert in der Musikgeschichte einnehmen. |
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vanrolf
Inventar |
#21 erstellt: 02. Jul 2006, 21:13 | |||
Hi, das mit Bartók wußte ich, aber daß in "Shining" ebenfalls Musik von Ligeti verwendet wurde, ist mir jetzt neu (ich habe den Soundtrack nie besessen). Allerdings habe ich den Film auch schon ewig nicht mehr gesehen... Um welche Kompositionen handelt es sich? Gruß Rolf |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#22 erstellt: 02. Jul 2006, 21:29 | |||
Hallo Ligeti-Freunde, zu "Shining" kann ich nichts beitragen, aber in "Eyes Wide Shut" wird ein Satz aus Ligetis "Musica Ricercata" verwendet. Offenbar wusste Kubrick um die suggestive Kraft dieser Musik. Allerdings frage ich mich wirklich, ob die Rezeption von Ligetis Kompositionen im filmischen Kontext - und sei er noch so genial wie im Falle Kubricks - die Wahrnehmung der Musik nicht allzu sehr fokussiert und sie um ihre Vieldimensionalität bringt. Allen, die sich für Ligeti interessieren, würde ich darum empfehlen, sich nicht nur auf die Soundtracks zu stürzen. Ausdrucksvoll, spannend, rätselhaft, sprachmächtig, virtuos, labyrinthisch, witzig und verspielt ist nämlich auch vieles Andere von Ligeti, das niemals zur klanglichen Illustration von Kinobildern herangezogen worden ist... In diesem Sinne Happy New Ears (and Eyes Wide Shut), Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 02. Jul 2006, 21:32 bearbeitet] |
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Zerebralzebra
Hat sich gelöscht |
#23 erstellt: 02. Jul 2006, 23:40 | |||
Ich hab "Aventures" und / oder "Nouvelles Aventures" gehört - das war auf jeden Fall witzig und verspielt. War glaube ich sozusagen absurdes Theater für Chor. |
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antiphysis
Stammgast |
#24 erstellt: 04. Jul 2006, 18:21 | |||
In Shining hat Kubrick ein einziges Stück von Ligeti verwendet, nämlich LONTANO. Auch hier wieder ein genialer Griff Kubricks - was ebenso für die Zitate aus Musik von Bartók und Penderecki gilt. Ansonsten kann ich Aladdin nur zustimmen. Vor nun bald 30 Jahren war es für mich ein Glücksfall, auf diese Musik zu stoßen. Zu verdanken habe ich dies Kubrick. Ohne Kubrick hätte ich Ligeti wohl kaum oder erheblich später kennen gelernt. Ein Soundtrack kann aber nur Anstoß sein. Die Art von Soundtracks wie Kubrick sie verwendete haben inzwischen aber eher Seltenheitswert. Kaum ein Regiseur "vergreift" sich an der Avantgarde. Eigentlich schade, denn vielleicht erhielten damit manche einen Anstoß in unentdeckte Welten vorzustoßen. Grüße |
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s.bummer
Hat sich gelöscht |
#25 erstellt: 04. Jul 2006, 20:02 | |||
Absolute Zustimmung. Aber! Ist es nicht traurig, dass ein so bedeutender Komponist wie Ligeti uns über Filme vermittelt wird, statt über die normalen Medien. Wo bleibt die Lobby für moderne Klassik! Im Radio dudelt doch immer nur noch die massenkompatible Mainstreamklassik. Meist Dreck! Weil ganze Werke sowie nicht mehr gesendet werden, weil sie ja so lang sein könnten. Das war mal besser. Gruß S. |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#26 erstellt: 04. Jul 2006, 22:28 | |||
Hallo antiphysis und s.brummer, warum diese Larmoyanz? Heutzutage hindert weniger denn je, all die "unentdeckten Welten" jenseits der "massenkompatiblen Mainstreamklassik" für sich zu erobern, denn auch jenseits von Telemann, Dvorak und Schostakowitsch liegt ungemein viel spannende Musik auf Tonträgern vor und jeder kann sie sich ohhne größere Probleme ins Haus holen. Und wenn das Radio diese Musik nicht bekannt machen will - was ich übrigens für ein Gerücht halte, denn ein Großteil meiner musikalischen Sozialisation auch im Bereich der sogenannten "Neuen Musik" hat sich über das Hören von WDR 3 abgespielt -, dann machen wir uns halt selbst damit bekannt: Genau zu diesem Zweck existiert doch ein Medium wie das Internet und ein Forum wie dieses hier. Lassen wir uns unser Hörpensum nicht von irgendwelchen CD-Konzernen, Rundfunk-Redakteuren und Kulturmanagern vorgeben! Diskutieren wir nicht die dreihundertste Einspielung von Tschaikowkys erstem Klavierkonzert! (Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin kein Verächter der musikalischen Tradition; ich habe im Gegenteil gelegentlich den Eindruck, dass Bach, Mozart, Chopin, Mahler und all ihre Leidensgenossen eine Schonfrist verdient hätten, damit der wahre Wert ihrer bis zum Überdruss heruntergedudelten Musik überhaupt wieder wahrgenommen werden kann...) Berichten wir einander stattdessen lieber von all der Musik, die es für die meisten von uns noch zu entdecken gibt! Kurz gesagt: Ich schlage vor, einen Thread mit dem Thema "Abenteuer Neue Musik" zu eröffenen, in dem wir einander auf all die oftmals noch unentdeckten Schönheiten hinweisen, die in der Musik seit Schönberg (ja, selbst der ist für manchen noch ein großer Unbekannter!) zu finden sind. Sollte hierfür Interesse bestehen, bin ich gerne bereit, sobald ich ein bißchen mehr Zeit habe, den Anfang zu machen. Herzliche Grüße Aladdin Herzliche Grüße [Beitrag von AladdinWunderlampe am 04. Jul 2006, 22:36 bearbeitet] |
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Zaaach
Ist häufiger hier |
#27 erstellt: 05. Jul 2006, 11:15 | |||
Tolle Idee! Da wär ich sehr gespannt drauf. |
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Zerebralzebra
Hat sich gelöscht |
#28 erstellt: 05. Jul 2006, 13:21 | |||
Finde ich auch toll. Ich könnte mir auch vorstellen, ein bisschen was über Schönberg zu schreiben. |
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G-Kiselev
Hat sich gelöscht |
#29 erstellt: 05. Jul 2006, 14:28 | |||
Hallo!
Man sollte den Namen des Threads vielleicht etwas nüchterner gestalten, in der Art von "Neuen Musik, Künstler und Werke", oder so... Und noch eine Frage: Sollen dort Aufnahmen beurteilt (fände ich weniger gut), oder doch eher Höreindrücke geschildert und Werke beschrieben (analysiert) werden? Gruß Georg |
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JohnD
Stammgast |
#30 erstellt: 05. Jul 2006, 16:40 | |||
Na endlich kommt mal ein bisschen Bewegung in dieses verkrustete Forum! Lasst uns neue Musik entdecken. Und nicht immer nur "die Aufnahme ist toll, die auch und die auch noch" Keine Aufnahme der bekannten Dirigenten ist schlecht. Sie ist nur manchmal eben angemessener. Und nach einer Weile ist vielleicht ein anderer Aspekt interessant. Lasst uns wieder über die Musik sprechen. Das passiert hier viel zu selten. Ich mach mal nen Anfang: http://www.zweitause...=-1&cat=all&q=webern Diese CD sollte man schnellstmöglich bestellen. Sie ist nämlich eigentlich nicht mehr erhältlich. Der Transfer ist für das Alter mehr als vorbildlich. So kann man das wohl zugänglichste Stück der Wiener Schule mal direkt aus dem Kreis derselben interpretiert hören. Bergs Violinkonzert ist zwar nach dem Zwölftonprinzip komponiert, die Reihe enthält jedoch eine Folge von Terzen, so dass sich ständig tonal wirkende Muster ergeben. Ich empfehle übrigens bei der Gelegenheit auch gleich die günstige Naxos-CD mit dem Klavierkonzert von Rautavaara: Insgesamt eine tolle CD. Das Klavierkonzert ist auch 12tönig, aber so komponiert, dass es tonal wirkt. Sehr effektiv. So kommt Rautavaara wieder zur Tonalität zurück. Und für Freunde von Ligeti ist das sicher auch schöne Musik (ich nehme aber an, dass wer Ligeti kennt und mag auch Rautavaara kennt...) |
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G-Kiselev
Hat sich gelöscht |
#31 erstellt: 05. Jul 2006, 17:22 | |||
Hallo! AlladinWunderlampe, du brauchst ja nicht gleich mit Beiträgen zu beginnen. Eröffne einfach den Thread, es finden sicherlich Leute die den Anfang machen. Gruß Georg |
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antiphysis
Stammgast |
#32 erstellt: 05. Jul 2006, 18:34 | |||
Hallo Aladdin, wenn ich an die Zeit damals (vor ca. 30 Jahren) zurückdenke, ist ein bisschen Larmoyanz doch angebracht. Seinerzeit war es gar nicht so einfach an zeitgenössische Musik auf Schallplatten zu kommen. Wenn ich mich recht erinnere, waren im wesentlichen die Label Wergo und Deutsche Grammophon aktiv an der Verbreitung aktueller Musik beteiligt (auch EMI hat sich etwas engagiert, aber nicht ganz so umfangreich). Inzwische ist die Lage vollkommen anders. Ein großes Lob ist NAXOS auszusprechen - der Katalog weist inzwischen eine stattliche Anzahl von Werken der Gegenwart auf (zudem in guten bis sehr guten Aufnahmen). Die großen Labels können aus ihrem Fundus schöpfen (die DGG hat ja inzwischen das Sublabel 20/21, EMI engagiert sich verstärkt bei ausgewählten Künstlern - z.B. Thomas Adés). Ergo: Inzwischen besteht sicherlich kein Grund mehr zu Larmoyanz - erfreulicherweise! Grüße |
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Miles
Inventar |
#33 erstellt: 13. Jul 2006, 19:50 | |||
Jetzt gibt es sie wieder für 4.99 : http://www.jpc.de/jpcng/home/detail/-/hnum/3620878/ |
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WolfgangZ
Inventar |
#34 erstellt: 07. Okt 2006, 13:47 | |||
Hallo, Ligeti-Freunde! Das Violinkonzert (1992) in dieser glänzenden und preisgünstigen Aufnahme mit Frank Peter Zimmermann ist bei aller Modernität von prachtvoller Farbigkeit. Insbesondere die Diskanteffekte klingen bezaubernd und äußerst originell. Das Werk ist im besten Sinne postmodern: motivische Parallelen finden sich zwischen allen Sätzen und die Beeinflussung durch altmeisterliche Formen wird nicht nur durch die Bezeichungen erkennbar. Das Cellokonzert steht mir etwas ferner; mit den Vokalkompositionen habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Gruß, Wolfgang Zimmermann |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#35 erstellt: 08. Okt 2006, 00:22 | |||
Hallo WolfgangZ, wenn Dir Ligetis Violinkonzert gefällt, solltest Du Dir unbedingt einmal sein etwa vier Jahre früher entstandenes Klavierkonzert anhören - allein schon, weil das Violinkonzert in weiten Teilen auf dem musikalischen Material, den Themen und den polyrhythmischen Texturen des Klavierkonzerts aufbaut, ja diese sogar zum Teil fast wortwörtlich übernimmt. Die eigentümliche, an ein Louis Carollsches Spiegelkabinett erinnernde Atmosphäre und die merkwürdig verschrobene Instrumentierung des Violinkonzerts - man denke nur an den Einsatz der Okarinas - scheinen mir im Klavierkonzert, das unter anderem mit Lotusflöte und Trillerpfeife aufwartet und auch mit diesen sonderbaren Verstimmungen konsonanter Intervalle arbeitet, sogar noch stärker ausgeprägt zu sein. Weitaus weniger deutlich finden sich dort allerdings jene nostalgisch-rückblickenden Züge, wie sie beispielsweise der stilistisch beinahe wie ein Fremdkörper aus Ligetis ungarischer Jugend anmutenden Aria aus dem zweiten Satz des Violinkonzerts anhaften. Dagegen betont das Klavierkonzert stärker die verwickelten rhythmischen Schichtungen und klingt dadurch bisweilen wie eine rasant überdrehte, gewissermaßen aus dem Ruder laufende Ragtime-Maschine... Im direkten Vergleich kommt mir das Violinkonzert ein wenig wie eine leicht romantisierte Neubearbeitung des Klavierkonzerts vor, in die Ligeti hier und da noch ein paar viel ältere musikalische Ideen hineingeflickt hat - vielleicht resultiert daraus auch jener "postmoderne" Charakter, den Du aus dem jüngeren Werk herauszuhören glaubst? Dagegen bin ich mir nicht sicher, ob "altmeisterliche Formen" wie der Hoquetus des zweiten und die Passacaglia des vierten Satzes wirklich "postmoderne" Zutaten sind, oder ob sie nicht vielmehr Ligetis Vorliebe für mechanisierte Formen widerspiegeln, die sich in ihrem maschinellen Abschnurren selbst ad absurdum führen - eine Vorliebe, die er freilich schon in den 1960er Jahren hatte, und zwar nicht nur in der Poeme symphonique für 100 Metronome... Aber wie dem auch sei - ungemein spannende, unterhaltende, teils witzige, teils melancholische und teils gespenstisch-fahle, fast immer aber ein wenig verschrobene Musik sind beide Stücke allemal. Eine kurze CD-Empfehlung für das Klavierkonzert habe ich bereits in einem früheren Beitrag dieses Threads gegeben. Der Einfachheit halber wiederhole und ergänze ich sie hier: György Ligeti: Cellokonzert, Klavierkonzert, Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten Miklós Perény (Violoncello),Ueli Wiget (Klavier), Ensemble Modern (Leitung: Peter Eötvös), Sony Classical SK 58 945) Viel Vergnügen in den Ligeti'schen Labyrinthen wünscht Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 09. Okt 2006, 00:26 bearbeitet] |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#36 erstellt: 09. Okt 2006, 00:31 | |||
Hallo WolfgangZ, gerade entdecke ich, dass Du Ligetis Klavierkonzert, das ich Dir gestern so weitschweifig ans Herz legen wollte, offenbar schon längst kennst, da Du es weiter oben ja bereits selbst empfohlen hast. Tja, ich werde auch immer schusseliger... Herzliche Grüße Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 09. Okt 2006, 00:32 bearbeitet] |
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WolfgangZ
Inventar |
#37 erstellt: 09. Okt 2006, 13:08 | |||
Hallo, Aladdin! Danke für Deine Rückmeldungen! Aufgrund Deiner Charakterisierungen werde ich sowohl in das Violin- wie in das Klavierkonzert mal wieder quasi neu hineinhören. Nochmals zur "Postmoderne": Ich verstehe diesen zweifellos problematischen Begriff ganz allgemein dahingehend, dass mit überlieferten Formen spielerisch frei umgegangen wird. Wir sind uns einig, dass Ligeti hierbei ein Meister seines Faches ist. Kann man eigentlich sagen, dass Ligeti zeit seines Lebens einen eigenen Stil hatte? Oder ist gerade das Eklektische (im positiven Sinne, also als kreative bis parodistische Anverwandlung), aber stets Aktuelle für ihn wesentlich? Noch fällt es mir schwer, den gemeinsamen Nenner solcher Werke wie des frühen "Rumänischen Konzerts", von "Lontano", des frühen Bläserquintetts oder der experimentellen Vokalkompositionen zu finden. Ligeti ähnelt in dieser Hinsicht wohl Strawinsky, dessen Personalstil ich aber zu erkennen vermeine, gleich ob die Werke kurz nach 1900 oder kurz vor seinem Tod entstanden sind. (Vielleicht ist das aber die Erfahrung im Hinblick auf das vertrautere Terrain.) Besten Gruß, Wolfgang |
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AladdinWunderlampe
Stammgast |
#38 erstellt: 01. Nov 2006, 02:26 | |||
Hallo Wolfgang,
nun habe ich Dich aber wirklich schon so lange auf eine Antwort warten lassen, dass es höchste Zeit wird, wenigstens ein paar kurze Gedankensplitter zur Frage des "gemeinsamen Nenners" in Ligetis Werken in die Diskussion zu werfen - auch wenn ich nun wirklich kein Ligeti-Experte bin: Vielleicht sollte man den Begriff des Personalstils nicht zu sehr überdehnen: Dass das ein Werk wie das Rumänische Konzert mit Lontano oder den Aventures nicht allzu viele Gemeinsamkeiten aufweist, scheint mir schlicht daran zu liegen, dass dieses Konzert ein sehr frühes Werk von 1951 ist, in dem die Orientierung an einer Art Bartokschem Idiom die Entfaltung persönlicherer Züge noch weitgehend verdeckt oder vielleicht bestenfalls in dem bisweilen ironisch gebrochenen Umgang mit dem (pseudo-)folkloristischen Material zu erahnen ist. Ähnliches scheint mir - wenn ich meiner Erinnerung an dieses vor langer Zeit gehörte Stück trauen darf - auch für die ebenfalls noch recht frühen Sechs Bagatellen für Bläserquintett (1953) zu gelten. Persönlichere Züge finde ich da eher im 1. Streichquartett oder in einzelnen Sätzen der Musica ricercata. Aber anscheinend konnte Ligeti, der die eigentlich "Neue" Musik zuvor nur übers Radio kennenlernen konnte (wobei der Empfang anscheinend oft so schlecht war, dass Ligeti rätseln musste, was wohl neuartige Klänge und was Störgeräusche seien), seinen Personalstil erst nach der Flucht aus Ungarn im Dezember 1956 ungehemmt entfalten - zumal es ihn nach Köln verschlug, wo er nicht nur eine Zeit lang bei Karlheinz Stockhausen wohnte und diesem bei der kompositorischen Arbeit am dessen bahnbrechenden Gruppen für 3 Orchester über die Schulter gucken konnte, sondern außerdem auch als freier Mitarbeiter beim Westdeutschen Rundfunk eigene Erfahrungen im berühmten, 1953 gegründeten "Studio für elektronische Musik" sammelte. Spätestens in den Apparitions für großes Orchester (1958-1959), die wohl zum Teil noch auf Ideen und kompositorisches Material aus den letzten ungarischen Jahren zurückgreifen, scheinen mir aber wesentliche Aspekte von Ligetis weiterer Musik ausgeprägt zu sein: das Konzept, aus einer Vielzahl einzelner Gestalten übergeordnete Klangflächen zu erzeugen, das paradoxe Umkippen dichtester Bewegungen in statische Gebilde, die Polarität von kontinuierlichen Perptuum-Mobile-Strukturen auf der einen und löchrigen, aus kurzen Gesten von bisweilen geradezu slaptstick-artigem Charakter zusammenmontierten Patchwork-Texturen auf der anderen Seite, die Faszination für eine sich selbst ad absurdum führende Mechanik lassen sich meines Erachtens von den sechziger bis in die neunziger Jahre verfolgen. Die imaginären "Dialoge" und Sprachtonfälle in der rein elektronischen Komposition Artikulation (1958) und die karikierten rhetorischen Gesten in den Aventures & Nouvelles Aventures (1966) scheinen mir nicht nur in einigen Partien des Requiems (1969) und der grotesken Anti-Anti-Oper Le Grand Macabre weitergeführt zu werden, sondern auch noch in dem aus kurzen Instrumentalgesten windschief zusammenmontierten 4. Satz des Klavierkonzerts fortzuwirken. Und das illusionäre Spiel mit Geschwindigkeit und Polyrhythmik verbindet Werke wie das Cembalo-Stück Continuum (1968) und die San Francisco Polyphony (1973) noch mit den späten Klavier-Etüden. Auch bestimmte Formcharaktere erscheinen in unterschiedlichsten Zusammenhängen wieder (und neigen vielleicht manchmal sogar dazu, zu beliebig herbeizitierbaren Satztypen zu erstarren - aber was einem Bruckner recht ist, sollte einem Ligeti billig sein): so das spannungsvolle Sich-nach-oben-Schrauben mehrerer melodischer Züge, die sich nach und nach zu einem hohen, schrillen Ton verengen, auf den dann ein katastrophisches Umschlagen folgt: in der berühmten Stelle von Atmosphères vorgeprägt, wo die Piccoloflöten aus höchster Lage abrupt in einen Cluster der tiefen Kontrabässe abstürzen, finden sich verwandte Prozesse vom Orgelstück Volumina bis zum 2. Satz des Klavierkonzerts. Natürlich hat Ligetis Musik sich über die Jahrzehnte auch in mancherlei Hinsicht verändert: die Mikropolyphonie von Atmosphères führt in Lontano zur Auskristallisation harmonischer Bezugszentren und wird in Werken wie Melodien und der San Francisco Polyphony soweit gelichtet, dass sich ein Changieren zwischen greifbaren melodischen Zügen und klangflächigen Strukturen ergibt. Und spätestens seit dem Horntrio bekommt das Spiel mit Gesten und Charaktermasken bei aller Mehrbödigkeit gelegentlich auch einen gewissen nostalgischen Touch, einen (freilich selten ungebrochenen) Sehnsuchtstonfall, der dann - vielleicht in Verbindung mit einer gewissen Alterskonzillianz, wie sie sich ja bei vielen Komponisten bis hin zu Schönberg und Lachenmann findet - in Stücken wie der Aria aus dem Violinkonzert vielleicht sogar in unverstellte Reminiszenzen an die eigene Jugend mündet. Nichtsdestoweniger scheint mir Ligeti ein Komponist mit einer recht unverwechselbaren Handschrift zu sein. Aber wenn ich dazu jetzt noch viel mehr schreibe, wird meiner "Handschrift" bald wohl unweigerlich die Langatmigkeit als unverwechselbares Charakteristikum anhängen. Also komme ich rasant zum Schluss und wünsche Dir nur noch viel Vergnügen beim Aufspüren des Ligetischen Personalstils. Herzliche Grüße Aladdin [Beitrag von AladdinWunderlampe am 01. Nov 2006, 19:26 bearbeitet] |
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WolfgangZ
Inventar |
#39 erstellt: 05. Nov 2006, 01:06 | |||
Hallo, Aladdin! Danke für diese differenzierte stilistische Wertung der Musik Ligetis, die ich für mich durchaus nachvollziehen kann. Jetzt werde ich mir mal genauer eine CD mit Klaviermusik zu Gemüte führen. Bis jetzt kenne ich die unverwechselbaren Cembalostücke "Continuum" und "Hungarian Rock". Womit ich noch etwas Probleme im Sinne von persönlicher Unzugänglichkeit habe, sind Vokalkompositionen des Meisters. Besten Gruß, Wolfgang |
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antiphysis
Stammgast |
#40 erstellt: 10. Nov 2006, 22:15 | |||
Momentan bietet JPC Teile der Sony-Edition von Ligeti zum Sonderpreis an, auch einige Aufnahmen der Fortsetzung bei Teldec sind derzeit bei JPC günstig zu haben. Wer seine Sammlung vervollständigen will, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen! Grüße |
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