John Coltrane - A Love Supreme

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buayadarat
Inventar
#1 erstellt: 01. Aug 2019, 10:59
Dieses Album gilt ja als eines der besten im Jazz, wenn nicht das Beste. Kann mir jemand sagen, warum? Was macht es so speziell?

Dies ist wirklich ernst gemeint, keinesfalls bösartig.

Mir gefällt das Album, aber ich kann keinen Riesenunterschied finden zu anderen Alben, die mir auch gefallen. Allerdings spiele ich selber auch nicht Musik, bin absolut unmusikalisch - bin aber trotzdem ein grosser Musikliebhaber. Ich kann also einige Aspekte gar nicht beurteilen.

Sind die Kompositionen besser als andere, die Spieltechnik oder das Arrangement? Könnten andere gute Musiker das nicht genauso spielen?

Was mir auffällt, ist das grimmige Gesicht auf dem Cover und die lustlos tönenden Gesänge (oder war das die Erfindung des Rap?) mit bescheidenem Text, im ersten Stück. Das erscheint mir nicht so wie die höchste Stufe beim Sex, wie die Scheibe manchmal beschrieben wird. Bei Sex kommt mir eher Prince, Marvin Gaye oder Sade in den Sinn.

Was macht den Unterschied?

Besten Dank für eure Erklärungen.
buayadarat
arnaoutchot
Moderator
#2 erstellt: 01. Aug 2019, 14:48
A Love Supreme war aus meiner Sicht nur einer der Höhepunkt in der Entwicklung von John Coltrane. Bei dieser Platte kamen seine massive Spiritualität (die "lustlosen Gesänge" ) und eine musikalische Steigerung der Ausdrucksform bis an die Grenze der Tonalität zusammen, die es zu diesem Zeitpunkt vorher nicht gab. Ich behaupte mal, dass man die Stellung der Platte einzeln herausgerissen und ohne wenigstens annähernde Kenntnis der Entwicklung von Coltrane kaum beurteilen oder schätzen können wird. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Verbindung zu "Sex", ich glaube kaum, dass Coltrane, der zu diesem Zeitpunkt persönlich spirituell schon weit fortgeschritten war, an so etwas dachte. Das ist der Platte möglicherweise später von anderen angedichtet worden.

Ich habe hier in diesem Forum vor ein paar Jahren mal einen John Coltrane -Thread gestartet. Vielleicht magst Du Dir die ersten Postings mal durchlesen und je nach Verfügbarkeit mal in ein paar der Vorgängerplatten hineinhören. Das sollte das Verständnis für Coltranes Werk deutlich erhellen.

Und abschliessend kann ich Dich beruhigen: Auch bei mir ist die Love Supreme nicht ganz oben in der Liste der favorisiertesten Coltrane-Aufnahmen, dafür trägt sie für mich auch zu viel Bedeutungsschwere mit sich. Aber sie gehört sicherlich zu den bekanntesten Jazz-Platten aller Zeiten.
buayadarat
Inventar
#3 erstellt: 02. Aug 2019, 08:35
Danke für deine Meinung. Ich werde auch mal im anderen Thema lesen.

Von seinen anderen Scheiben kenne und habe ich nur noch Blue Train, die mir etwa gleich gut gefällt, aber auch da kann ich nichts Sensationelles raushören.

Beim lustlosen Gesang, der ja eigentlich nur ein Sprechen von mehrmals "Love Supreme" ist, kann ich nichts spirituelles raushören, aber ich bin auch nicht religiös, das kommt noch zu meiner Unmusikalität dazu. Vielleicht liegt es daran. Den handgeschriebenen Text auf dem Cover kann ich kaum lesen, so klein geschrieben ist es, aber zumindest erkenne ich, dass es da um Gott geht.

Könnte man das so etwa als "Instrumental-Gospel" bezeichnen?

In Verbindung mit dem grimmigen Gesicht auf dem Cover, frage ich mich jetzt, ob der vielleicht von Religion besessen war. Oder war das nur ein etwas unglückliches, zufälliges Bild.

Ich weiss nicht mal, wie ich "Love Supreme" übersetzen sollte, "höchste Liebe" oder sowas.

Besten Dank jedenfalls.
arnaoutchot
Moderator
#4 erstellt: 02. Aug 2019, 09:51
Ich weiss nicht so recht wonach Du suchst. Ich weiss natürlich auch nichts über Deinen jazzmusikalischen Hintergrund. Wenn man Werke wie Blue Train, Giant Steps oder eben A Love Supreme heute unbedarft hört und mit dem modernen Jazz der vergangenen 50 Jahre vergleicht, dann mag man das Besondere darin suchen. Aber bei Erscheinen war das tatsächlich "unerhört".

Wie schon gesagt, um das in die richtige Reihenfolge zu bringen, ist aus meiner Sicht eine gewisse Beschäftigung nötig. Man hört nur, was man weiss ! Ich kann Dir aber versprechen, dass es sich lohnt. Besonders bei Coltrane !
buayadarat
Inventar
#5 erstellt: 02. Aug 2019, 10:19
Ich suche nach den für einen unmusikalischen Menschen verständlichen Gründen, was diese Scheibe so speziell macht.

Dank deiner Hilfe weiss ich jetzt schon mal, dass es eine besondere Spiritualität und ein zur Zeit des Erscheinens ein neuer, gewagter Stil war. Beides kann ich im Moment nicht nachvollziehen, werde aber noch in deinem Link lesen. Ich kann nachvollziehen, dass Elvis' Bewegungen damals "unerhört" waren, aber in dieser Musik sehe ich keinen Angriff auf bisherige Werte, aber wohl nur nicht, weil ich den Unterschied zu vorher nicht verstehe.

Am liebsten hätte ich eine Antwort wie "kein anderer beherrscht diese Technik beim Sax spielen" oder sowas gehabt, aber natürlich nur, wenn es auch stimmt...
arnaoutchot
Moderator
#6 erstellt: 02. Aug 2019, 10:29

buayadarat (Beitrag #5) schrieb:
Am liebsten hätte ich eine Antwort wie "kein anderer beherrscht diese Technik beim Sax spielen" oder sowas gehabt


So einfach ist es leider nicht. Die A Love Supreme ist ein Gesamtkunstwerk, das eher nach innen gerichtet und nicht extrovertiert ist. Wenn Du den virtuosen Coltrane suchst, der damals mit seinen sog. Sheets of Sound für Furore sorgte, dann solltest Du mal die Giant Steps anhören. Die gilt je nach Betrachtungsweise auch als eine der besten Coltrane-Platten. Bis zur Love Supreme hatte er die Stufe äusserer Virtuosität aber schon wieder überwunden. Danach verliess er auch den Bereich der Tonalität, die die Love Supreme noch kennzeichnet.

Coltrane ist (leider?) nicht einfach, aber umso lohnender, wenn man sich mit seinem Werk befasst und Zugang findet. Ich habe mindestens 20 Jahre gebraucht, das alles langsam zu verstehen.
buayadarat
Inventar
#7 erstellt: 02. Aug 2019, 10:31
Okay, dann gebe ich auf, in 20 Jahren bin ich (wahrscheinlich) tot...
Mr._Lovegrove
Inventar
#8 erstellt: 07. Aug 2019, 06:34
Hallo buayadarat,

viel kann ich zu arnaoutchots Aussagen eigentlich nicht mehr hinzufügen. Ich erwarte in den nächsten Tagen aber das Buch "A Love Supreme" von Ashley Kahn, in dem der Autor sich mit der Entstehungsgeschichte des Albums beschäftigt. Dann wird sich zeigen, was den Erfolg des Albums ausgemacht hat.
Rein musikalisch ist das Album beleibe keine Revolution oder eine einzigartige Angelegenheit. Coltrane trieb seine Art des modalen Spieles (also des Spielens ohne klassische Akkorde und basierend auf Skalen) auf die Spitze. Jedoch kommen einem die Strukturen der Musik bekannt vor, wenn man die direkten Vorgänger auch kennt.
Womöglich war es eine Mischung aus vielen anderen Aspekten. Da war zum einen die Tatsache, das Trane zu diesem Zeitpunkt schon einer der einflußreichsten und bekanntestebn Personen im Jazz der 60er war und zudem extrem bekannt. Und dann erlangt genau diese Person spirituell und religiös eine neue Ebene, die anscheinend jede Menge Menschen angesprochen hat. Und unter den Jazzstars der damaligen Zeit war Coltrane derjenige, der dies in so radikaler Form als einziger tat. Miles Davis spielte schwer zu greifende Musik, Ornette Coleman und Albert Ayler waren schon hart im Freejazz verankert. Da kam Tranes tiefer Spiritualjazz, der oberflächlich sogar eine Zugänglichkeit besitzt den Leuten doch sehr recht. Sie fanden sich u.U. in dieser Musik selber wieder. Das simple Thema vom ersten Teil (A Love Su_preme, a love su_preme) können theoretisch ja sogar kleine Kinder mitsingen.
So erreicht man in einer Zeit des sozialen und politischen Umbruchs die Menschen. Sie brauchen eine Stimme und für einige war Trane eine dieser Stimmen.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 07. Aug 2019, 06:35 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#9 erstellt: 07. Aug 2019, 09:09
Vollkommen einverstanden, Michael (Mr. Lovegrove). Das sehe ich genauso. Es ist absolut wichtig, die Zeit zu berücksichtigen, in der das Album entstand. Um die Jazz-Musiker herum entwickelte sich in den USA gerade die Hochphase von Flower Power und psychedelischer Musik. Viele Rockmusiker der Zeit beziehen sich stark auf A Love Supreme, ganz offensichtlich Carlos Santana und John McLaughlin, die ja wenig später das Stück auch aufnahmen. Es ist nicht falsch, A Love Supreme als psychedelischen Jazz zu bezeichnen.
buayadarat
Inventar
#10 erstellt: 07. Aug 2019, 09:54
Besten Dank für deine Einschätzung.


Mr._Lovegrove (Beitrag #8) schrieb:
...war Coltrane derjenige, der dies in so radikaler Form als einziger tat.


Ich kann da leider das radikale daran nicht finden. Aber das ist wohl mein Problem, mir fehlen dazu einfach die Musikkenntnisse. Wenn ich nicht wüsste, dass er da gerade auf dem religiösen Trip war, könnte ich das nicht heraushören. Für einen Laien wie mich, ist das bei Gospel einfacher, da erkennt man das an den Texten.

Aber immerhin gefällt mir die Scheibe auch so.
Mr._Lovegrove
Inventar
#11 erstellt: 07. Aug 2019, 12:59
Im Allgemeinen und nicht nur auf Coltrane bezogen, ist das Verständnis bestimmter Jazzmusik, also Alben oder Musikern, oft nur in einem größeren Zusammenhang oder anfangs eines langen Stranges möglich. Mir hat John Coltrane als Beispiele nach Jahren relativ chaotischen Jazzhörens das Verständnis für die Jazzmusik der 50er und 60er gegeben, aber auch weit größere Zusammenhänge erklärt.
Allerdings eben nicht "A Love Supreme", sondern die Alben der Atlantic Ära.

Also es kann im Jazz nur heißen: Hören, hören, hören und das mit einem gewissen System oder anhand einer gewissen Linie.


[Beitrag von Mr._Lovegrove am 07. Aug 2019, 13:00 bearbeitet]
ParrotHH
Inventar
#12 erstellt: 07. Aug 2019, 13:23

buayadarat (Beitrag #10) schrieb:
Ich kann da leider das radikale daran nicht finden. Aber das ist wohl mein Problem, mir fehlen dazu einfach die Musikkenntnisse.

Es gibt in der Musikgeschichte immer wieder Werke, die aus der Masse hervorragen. Man hört sie sich genau deshalb an, und versteht es nicht. Schöne, anspruchsvolle und auch sehr gute Musik, aber was zum Teufel ist das sooo besonderes dran???

Kenn ich!

Bei mir war das z. B.: Bach´s Matthäus-Passion.
Oder auch, ganz früher mal: Beethovens 5. Symphonie.

Der "Trick" bei mir ist, dann sich genau nicht auf das jeweilige Werk zu kaprizieren, sondern es einfach erst mal liegen zu lassen, und sich im Umfeld zu bewegen. Und dann später, vielleicht eher zufällig oder beiläufig, jedenfalls ohne diesen Druck des Verstehen Wollens, wieder darauf zurück zu kommen.

Dann hat man in der Zwischenzeit ein großes Gesamtgemälde im Kopf, und kann das einzelne Werk darin auf einmal verorten, wo es vorher ohne jeden Zusammenhang auf einer leeren Fläche herumhing. Und dann macht es vielleicht *klick*

Parrot
TomGroove
Inventar
#13 erstellt: 07. Aug 2019, 13:51
Das ist ja auch zum Glück auch Geschackssache. Aber es gibt halt immer wieder Alben, auf die sich sehr viele als bahnbrechend oder überragend einigen. Muss dies dann jeder so empfinden ? Nö. Es gibt genügend die besipielsweise nichts mit Pink Floyd oder Miles Davies oder..... anfangen können. Ich hatte gerade diese Woche ein Gespräch mit einem Freund der Tarrantino völlig überbewertet findet. Andere finden widerrum Eloy gut
Micha_L
Stammgast
#14 erstellt: 07. Aug 2019, 15:18
Man muß nur nicht in Ehrfurcht erstarren.

Ich z. B. kann nicht nachvollziehen, daß sich Glenn Gould bei Bach´s Goldberg-Variationen so fertig machte.

Eine Stunde freie Improvisation von Alexander von Schlippenbach schien mir anstrengender.
Sal
Inventar
#15 erstellt: 21. Aug 2019, 11:27
@buayadarat

Vielleicht reicht schon zum Verständnis dieser Abschnitt der englischsprachigen Wikipedia:

https://en.wikipedia...nd_religious_beliefs

Siehe auch Witwe Alice:

https://en.wikipedia.org/wiki/Alice_Coltrane

Oder das erste Kapitel von James Baldwins Roman "Another Country"


[Beitrag von Sal am 21. Aug 2019, 11:31 bearbeitet]
buayadarat
Inventar
#16 erstellt: 21. Aug 2019, 21:42
Danke, das hatte ich bereits gelesen. Das erklärt mir zwar, dass er religiös war, aber nicht, warum dieses Album solch ein Highlight war. Da es keinen Text gibt, merke ich ja nicht mal, dass es überhaupt religiös ist (im Gegensatz zu Gospel).
bebop
Stammgast
#17 erstellt: 23. Aug 2019, 10:17

buayadarat (Beitrag #5) schrieb:
Ich suche nach den für einen unmusikalischen Menschen verständlichen Gründen, was diese Scheibe so speziell macht.


Das kannst du nur selbst herausfinden. Du musst das selbst hören. Wenn die Musik dir nicht zusagt, nicht gefällt, wirst du kaum entdecken was die Musik ausmacht.
Jede Beurteilung anderer, ob positiv oder negativ, wird nur deren Eindruck abbilden.
Mir gefällt A Love Supreme, andere Tracks von Coltrane auch, teilweise sprechen die mich stärker an. Von Love Supreme gibt's auch verschiedene Versionen, Live, da könnte auch sein, daß da für dich gefälligeres dabei ist.
buayadarat
Inventar
#18 erstellt: 23. Aug 2019, 10:43
Doch, die Musik sagt mir zu, sie gefällt mir, wie viel anderes auch. Ich kann nur das Besondere darin nicht erkennen.
Sal
Inventar
#19 erstellt: 23. Aug 2019, 17:09
Vielleicht erst mal nachfühlen und dann erkennen?
Mr._Lovegrove
Inventar
#20 erstellt: 31. Aug 2019, 06:50

buayadarat (Beitrag #16) schrieb:
Da es keinen Text gibt, merke ich ja nicht mal, dass es überhaupt religiös ist (im Gegensatz zu Gospel).

In einem reinen Instrumentalisten eine Aussage jenseits von reiner Emotion zu finden, also politische, religiöse oder andersartige Überzeugungen, kann in meinen Augen nur in einer Mischung aus viel Hörerfahrung und Erforschung der Hintergründe stattfinden.
Nur etwas über die eine Platte nachlesen und dann versuchen sie zu verstehen, so wie du es womöglich gemacht hast, ist wenig zielführend.
Sowas kann man auch nicht auf kurze Distanz erzwingen, sondern dieser Schalter rastet oft erst nach langer Zeit ein. Und um "A Love Supreme" so nah wie möglich zu kommen, musst du wohl erst ganz viel anderes Coltrane Zeug hören und auch anderen Jazz dieser Zeit. Das ist meine Sichtweise aus Erfahrung.
buayadarat
Inventar
#21 erstellt: 31. Aug 2019, 08:08
Danke für die konstruktive Diskussion an alle!
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