Ein wehrhafter Fehler am Kenwood KA 701

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Broesel02
Inventar
#1 erstellt: 01. Sep 2022, 21:08
Mein Freund von mir hatte sich aus EBää Kleinanzeigen einen Kenwood KA 701 geholt. Äußerlich super erhalten. Angeblich funktioniert alles tadellos.

Dem war natürlich nicht so. Er kam immer wieder mit dem Gerät vorbei und ich habe nach und nach alle Schalter ausgebaut, zerlegt, poliert, versiegelt und wieder eingebaut. Bei der Gelegenheit auch die Black- Flags gegen haltbare Kondensatoren gewechselt, den dritten Differenzverstärker, der sich immer auslötet, entlötet und neu verlötet und alle Kleinelkos die sich bereits ausgezogen haben mit erneuert. Das Gerät sollte ja nur funktionieren!

Aber es hat sich ein widerspenstiger Fehler herauskristallisiert, nachdem alle Kontaktfehler weg waren: Auf dem linken Kanal kommt erst nach etwa 7 Minuten Ton heraus. Vorher ist das Signal extrem leise zu hören. Nach etwa 6 Minuten wird es lauter, klingt dann noch ein paar Sekunden verzerrt und ist dann voll da. Ganz normal, als wenn nie etwas gewesen wäre.
Mit Kältespray oder Fön habe ich keine Veränderung feststellen können. Und 7 Minuten ist nicht viel wenn man sorgfältig messen möchte. Sobald alles Meßgeräte angeschlossen sind funktioniert die Kiste wieder, man kann nichts mehr finden. Und dann funktioniert sie auch wieder viele Stunden völlig problemlos.
Ich habe nacheinander alle Doppentransistoren getauscht - ohne Erfolg. Den Eingangsdifferenzverstärker - ohne Erfolg. Die Transistoren vom dritten Differenzverstärker - ohne Erfolg.

Aufgeben gilt nicht, ich weiss. Ich habe also ein 10 kHz Rechteck angelegt, am Ausgang das Scope angestöpselt und noch mal einzeln alle Bauteile mit Kältespray abgesprüht. Die deutlichste Veränderung im Rechteck beim Einsprühen zeigt der 680pF Kerko im Boucherrot Glied über dem Eingangsdifferenzverstärker. Seitdem dort ein neuer Wima PP eingelötet ist ist der Spuk vorbei. Jetzt ist der Verstärker nach dem Einschalten und der Relaisfreigabe auf beiden Kanälen sofort da.

Kerkos altern eben auch und können dann Feuchtigkeit ziehen die zum Versagen des Bauteils führt bis die Feuchte durch Wärme ausgetrieben wird

Wenn man die Zeit die das Spiel gekostet hat rechnen würde kann man dafür bestimmt 10 X Glimmer- und PP Kondensatoren einbauen. Das wäre dann billiger gewesen

Richard
Lennart777
Inventar
#2 erstellt: 02. Sep 2022, 07:06
Prima, Richard - so etwas kommt zwar sehr selten vor, aber wenn es vorkommt, kann es einen beinahe in den Wahnsinn treiben...

Grüße
Lennart


[Beitrag von Lennart777 am 02. Sep 2022, 07:06 bearbeitet]
shabbel
Inventar
#3 erstellt: 02. Sep 2022, 12:20
Hört sich an wie eine Geschichte von dem anderen Broesel.
Valenzband
Inventar
#4 erstellt: 02. Sep 2022, 14:36
"Kerkos" ist ein Sammelbegriff. Landläufig ist damit alles gemeint, was Kapazität hat, auf zwei radialen Anschlüssen steht und in einerr keramikartigen Vergussmasse steckt.
Früher meist in Form runder Scheiben, später meist rechteckig. Unter dem Mantel gibt es die Typen single-layer und multilayer, sowie eine große Zahl verschiedener Dielektika- und Elektrodenmaterialien. Deren Unterschiede werden meist nicht erkannt, oder für unbedeutend gehalten, ist halt "nur ein Kerko".

Unabhängig davon hat diese Bauform eine grundsätzliche Schwäche, die die Anschlusskontaktierungen betrifft.
Im Gegensatz zu anderen Bauformen und Vergußmassen ist die sog. Fritte ziemlich spröde und kann schon bein unsachgemäßer Handhabung beim Einbau, insbesondere Verspannnung, zu enges Abbiegen der Drähte, mechanischen oder thermischen Schock, kleine aber entscheidende Risse bekommen. Risse sind Einfallswege für Wasserdampf und Gase/Luft, die an den Kontaktstellen je nach Umgebungsbedingungen früher oder später elektrochemische Korrosion bzw. Oxidation verursachen und den Kontakt dauerhaft schädigen, manchmal zum Wackelkontakt oder manchmal bis zum Totalversagen. In krassen Fällen tritt der Kontakt(teil)bruch schon direkt mit der Rissbildung auf, denn auch der Übergang Draht/Layerbeschichtung kann sich wegen der hohen Härte des Keramikmaterials leicht lösen. Auch lokale Ablösung der Beschichtung kann dabei auftreten.

Wenn diese und ähnliche Handhabungs- und Montagefehler vermieden werden halten die "Kerkos" in normaler Umgebung eine Ewigkeit.
Leider wurden viele Komponenten in der damailgen Zeit eher hastig und nicht unbedingt sorgfältig oder schonend montiert, was nach so langer Zeit zu solchen Ausfällen führen kann.
Aus den genannten Gründen sollte man davon absehen, aus ästhetischen Gründen alle möglichen Bauteile, die öfter mal "schief" eingebaut wurden, "schön gerade" aufzurichten. Perfekt ist der Feind von gut.
Poetry2me
Inventar
#5 erstellt: 08. Sep 2022, 22:12
Danke Richard, dass Du diesen schwierigen Fall hier dargestellt hast!

Solche Fehler aufzuspüren, die weder auf mechanische Reize, noch auf Kälte und Wärme reagieren, da gehört schon tiefes Verständnis der Schaltung und viel Erfahrung dazu, vor allem wenn es dabei keine schlüssige Veränderung der Gleichspannungspegel in der Schaltung gibt.
Hut ab!

- Johannes


[Beitrag von Poetry2me am 08. Sep 2022, 22:13 bearbeitet]
Poetry2me
Inventar
#6 erstellt: 10. Sep 2022, 11:49
Deine raffiniert Methode, einen (nach 7 Minuten) flüchtigen Kerko-Fehler zu finden, werde ich mir merken, Richard


Ich versuche das mal nachzuvollziehen:
  1. Ein 10 kHz Rechteck Signal am Eingang anlegen
  2. Ein Oszilloskop am Ausgang anschließen und beobachten
  3. Mit Kältespray (und evtl. zusätzlich Föhn) die verschiedenen Regionen der Schaltung ansprühen.
  4. Wenn sich die Form des Signals verändert, speziell wenn das Rechteck sich an den Ecken abrundet, dort die Bauteile einzeln ansprühen und genauer suchen.


- Johannes


[Beitrag von Poetry2me am 10. Sep 2022, 11:51 bearbeitet]
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