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Historische Aufführungspraxis bei Werken nach 1850+A -A |
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Autor |
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op111
Moderator |
#1 erstellt: 22. Jul 2005, 22:44 | |||||||||
Hallo zusammen. Im Thread über audiophile CD-Label entwickelte sich durch die Erwähnung dieser Aufnahme der Scheherazade RIMSKI-KORSAKOFF/BORODIN SCHEHERAZADE/RUSSISCHE OSTERN/POLOWETZER TÄNZE/STEPPENSKIZZE IMMERSEEL/ANIMA ETERNA ZIG-ZAG TERRITOIRES (F)Bestell-Nr.ZZT050502 ein neues Thema : Historische Aufführungspraxis bei Werken nach 1850 billige Masche oder Methode?
Hallo Frank
an guten Sheherazade-Aufnahmen (Ansermet, Maazel,Mehta, Rostropowitsch, Stokowski usw.) herrscht kein Mangel. Originell oder kurios ist die Aufnahme wahrscheinlich schon, aber die Masche, mit kleiner Besetzung und ohne Vibrato nun auch (Spät-)Romantik über einen HIP-Kamm zu scheren ist mir zu billig. Da ist denen wohl das adäquate Repertoire ausgegangen. Tschaikowskys 6. mit Norrington/SWR ist schon so eine Schlaftablette, da brauche ich keine Sheherazade. Was kommt als Nächstes: Messiaens Turangalila mit 25 HIPpen-Musikern? Franz [Beitrag von op111 am 23. Jul 2005, 13:28 bearbeitet] |
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Hüb'
Moderator |
#2 erstellt: 23. Jul 2005, 07:34 | |||||||||
Hallo Franz! Die grundsätzliche Idee, diese Musik im HIP-Kontext darzustellen und mal gegen den Strich zu bürsten finde ich interessant. Gerade bei einem solch wohlbekannten Schlachtross des Standardrepertoires sollte es aber eine interpretatorisch u n d klanglich herausragende Aufnahme sein, um das Projekt gegenüber der Vielzahl toller Einspielungen (siehe Deine Aufzählung oben, ergänzt zumindest noch um Markevitch und Reiner) zu rechtfertigen. Viele Grüße, Frank |
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Adri
Stammgast |
#3 erstellt: 23. Jul 2005, 07:44 | |||||||||
Hi,
ich auch, Norringtons LCP Brahms (Sinfonien, Requiem) auf EMI ist ein gelungenes Beispiel. Aber die Methode kann so ausarten als bliebe vom Brathähnchen nur das abgefressene Skelett übrig. Über einen Kamm scheren - gegen den Strich bürsten MfG |
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op111
Moderator |
#4 erstellt: 23. Jul 2005, 13:10 | |||||||||
Hallo zusammen,
... ist sicher eine Gratwanderung. Bei Wagners Spätwerken oder Bruckner z.B. und gerade einem Werk wie Scheherazade wird mit der HIP-Methode/Masche die Substanz angegriffen, da diese Werke u.a. auch von der schieren Masse des Klangs leben. Strauss' Heldenleben im HIP-Sound wirkt bestimmt so lustig wie Hindemiths Holländer-Ouvertüre für betrunkenes Streichquartett. Franz |
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Aristipp
Stammgast |
#5 erstellt: 24. Jul 2005, 04:51 | |||||||||
Hallo zusammen, da ich bei Musik vor 1850 ohnehin fast ausschließlich HIP-CDs favorisiere, bin ich an den "Sound" vielleicht mehr gewöhnt als andere. Aus diesem Grund bin vielleicht auch etwas wagemutiger, was Experimente angeht, das auch auf Werke späterer Zeiten auszudehnen. Natürlich ist es Unsinn, Messiaen mit null Vibrato zu spielen, aber was auch bei den Streicherparts von Stücken so grob 1850-1900 nicht vergessen werden sollte, ist meiner Meinung nach, dass es sich beim Vibrato um einen klanglichen Effekt handelt, um den Ausdruck zu verstärken. En Dauervibrato, wie es (leider immer noch) viele Orchestermusiker drauf haben, zerstört diesen Effekt wieder, weil er nicht mehr als solcher wahrgenommen wird, sondern dann einfach zum Klangbild mit dazugehört (ähnlich einem Schweller in einer romantischen Orgel). Da ich kein großer Freund von Klangbrei bin, halte ich einen bewussten Einsatz von (sparsamem) Vibrato sowohl bei klassischen Werken als auch bei romantischen für richtig. Aber die Betonung liegt eben auf sparsam. Da im Lauf der Musikgeschichte sich der subjektive und emotionale Gehalt der Musik tendenziell verstärkt hat, gilt wahrscheinlich als grobe Faustregel: Je später komponiert, desto mehr Vibrato ist möglich. ES ist sicher auch eine Frage, woher man mit seinem Klangempfinden kommt: Wer sein Leben lang auf Furtwängler-Stokowski-Karajan-Celibidache gehört hat, dem ist ein solcher bewusster und sparsamer Einsatz des Vibratos eher fremd. Wer (wie ich, ich gebs ja zu) immer schon eher auf Toscanini-Markewitsch-Boulez-Gardiner gehört hat, findet sich hier eher zurecht. Interessant ist vielleicht eine Äußerung über Richard Mühlfeld (weiß nicht mehr, von wem sie stammt), der ja bekanntlich Brahms zu seinen späten Klarinettenwerken inspirierte. Der habe ein "großes Vibrato gehabt", auf Nachfrage des Interviewers, ob er ein großes "Rubato" meine, widersprach der Zeitzeuge: Nein, wirklich, Mühlfeld habe mit großem Vibrato gespielt. Das ist durchaus interessant, denn sowas macht "man" (als deutscher Klarinettist eigentlich bis heute nicht, zumindest nicht bei Brahms. Den Klangeffekt gab es bei Bläsern in der späten Romantik also auch bei Brahms, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Mühlfeld ständig den Schweller angestellt hatte. Was lernt ( ) uns das? Um die große Ausdrucksbreite der Musik zu realisieren, sind natürlich alle Klangeffekte zu nutzen, nur eben mit Augenmaß und immer bewusst. Und letztlich gilt natürlich (wie immer): Die Welt ist zu groß, als dass es nur eine wahre Interpretation geben könnte und ich bin froh, von den wichtigen Werken nicht nur eine Version auf CD besitzen zu dürfen... Grüße, Matthias |
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Hilda
Stammgast |
#6 erstellt: 24. Jul 2005, 11:00 | |||||||||
Hallo, was bedeutet 'historische Aufführungspraxis' wenn wir von der Zeit nach 1850 sprechen? Meinem Kenntnisstand nach, scheint der hauptsächliche Unterschied im Instrumentarium die Verwendung 'lokaler' Instrumente (also z.B. deutsches Blech oder französisches Holz) sowie die Verwendung von Darmsaiten bei den Streichern sein. Die Experten mögen mich verbessern, wenn das nicht stimmt. Rein technisch hat sich ja wohl am Instrumentarium nichts wesentliches verändert in den letzten 100 bis 150 Jahren. Daß die Aufführenden getreu dem Notentext aufführen, setze ich eigentlich heutzutage für jeden voraus - egal ob er sich das Label HIP gibt oder nicht Was können die Jungs also noch ändern? Vielleicht die Besetzungsstärke in den Streichern - gibt es da Informationen bzgl. Immerseel??? Der von Franz-J erwähnte Norrngton lässt ja beispielsweise auf 'modernem Instrumentarium' spielen und verzichtet nur weitgehend auf Streichervibrato. Was die HIP-Aufnahmen betrifft, die ich aus dieser Zeit besitze...: Wagner mit Norrington - flott (die Meistersinger etwas zu flott für meinen Geschmack) mit einigen interessanten Klangfarben - allerdings nichts, was unterschiedliche Orchester in den sechzigern nicht auch zu Wege bringen. Man vergleiche nur die Cluytens-Aufnahmen auf Testament mit Klemperer/Philharmonia und den Wienern. Hier scheint der Dirigent eine deutlich grössere Rolle zu spielen als das Instrumentarium Stilistisch tuen sich da für mich keine Riesenunterscheide auf, wie z.B. bei Barock-Musik. Brahms Requiem mit Gardiner, Norrington und Herreweghe - das sind meine Favoriten, aber zugegebenermassen weniger wegen HIP als wegen den anderen Aufnahmen überlegenen Chören. Bruckner 7 mit Herreweghe - IMHO ein absoluter Langweiler. Im Grossen und Ganzen ist mir HIP für diese Periode ziemlich unbedeutend für die Kaufentscheidung - im Gegensatz zu Barock, aber selbst da kommt es eher auf die stilistische Ausführung als das verwendete Instrumentarium an - es gibt unglaublich viele 'Langweiler' auf Originalinstrumenten... Gruss Klaus |
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Kreisler_jun.
Inventar |
#7 erstellt: 24. Jul 2005, 14:36 | |||||||||
Das ist aber supergrob....v.a. hieße es ja, dass man ohne vibrato keine Emotionen ausdrücken könnte. Das kann ja wohl nicht gemeint sein. Ebenso würde ich natürlich bestreiten, dass sich die Emotionalität der Musik verstärkt hat, aber das ist eine andere Geschichte. Sie deutet jedoch auf eine Tendenz einiger HIP-Musiker hin, nämlich eine kühles, möglichst neutrales (neobarockes) Klang (und Interpretations)ideal zu pflegen. (trifft IMO z.B. auf Gardiner zu weitgehend unabhängig von der Musik, auf Harnoncourt, Brüggen u.a. trifft es gar nicht oder sehr viel weniger zu). Einige sehr gute, provokative Texte zur "HIP-Bewegung" findet man in R. Taruskin: "Text and Act", Oxford 1995.
Ich liege auch eher auf der Toscanini-Markevitch usw Schiene, aber vielleicht habe ich gerade deshalb den Eindruck, dass ab ca. Beethoven HIP nicht besonders viel bringt (allerdings meist auch nicht viel schadet...).
Angeblich behauptete jemand (Brahms an Joachim oder umgekehrt?) nach den ersten Proben oder Aufführungen des Trios, Mühlfeld habe stärkeres (oder weiteres) Vibrato eingesetzt als der Cellist! Stell ich mir absolut grausam vor. Mir ist auch völlig wurst, wie die das damals gemacht haben, ich mag kein Klarinettenvibrato und möchte es bei Brahms bitte nicht hören, bin aber natürlich bereit, einzuräumen, dass das Geschmackssache ist und überdies von lokalen Traditionen abhängen mag. JK jr. |
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KV588
Ist häufiger hier |
#8 erstellt: 24. Jul 2005, 14:51 | |||||||||
Ich kann mit dem "Gegen-den-Strich-Bürsten" schon länger nichts mehr anfangen. Entweder wird der Begriff auf bestimmte Künstler stereotyp angewendet - Norrington, Harnoncourt...oder alles, was doppelt so schnell oder halb so langsam oder ohne Vibrato oder oder oder ist, heißt so. |
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Susanna
Hat sich gelöscht |
#9 erstellt: 25. Jul 2005, 10:19 | |||||||||
Hallo!
Mich berührt die Matthäuspassion von Bach sowohl subjektiv als auch emotional stärker als eine Mahlersche Sinfonie. , Sogar noch frühere Musik. Auch was den Gehalt angeht, bin ich da eher skeptisch.
Finde ich auch. HIP auf Krampf ist (mir) unerträglich! Grüße, Susanna |
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op111
Moderator |
#10 erstellt: 25. Jul 2005, 15:04 | |||||||||
Hallo zusammen,
sehe ich auch so, wobei die Zeit der Darmsaiten wohl schon Anfang des 18. Jh. dem Ende entgegenging, umsponnene Kupferdrahtsaiten gibt es m.W. schon viel früher. Darmsaiten beim späten Beethoven, Mendelssohn oder Schumann wären damit ziemlich fragwürdig HIP.
Dem verringern der Besetzungsstärke stehen live die großen Konzertsäle entgegen, womit sich auch der nächste Kritikpunk t am HIP-Konzept auftut: Nur in originalgetreuen Sälen klingt es es historisch. Man kann natürlich so argumentieren, daß die Balance zw. den Stimmen erhalten bleiben sollte. Zu den heute viel lauteren Blechbläsern gehören dann aber mehr und lautere Streicher. Oder man nimmt Retuschen (sehr häufig und (un)beliebt bei Schumann) vor - in beiden Fällen zieht man sich aber den Zorn der buchstabengetreuen Philologen zu. Soweit ich mit den zeitgen. Berichten vetraut bin, war man seinerzeit meistens weniger zimperlich, man hat ganz pragmatisch die Besetzung den personellen Gegebenheiten und Ausführungsbedingungen angepasst. Mir persönlich ist die Balance wichtiger als Buchstabentreue. Und ein Minimalensemble im 2000-Personen-Saal bei dem das fff bei mir nur als f ankommt macht mir auch keinen Spaß. Gruß Franz |
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Kreisler_jun.
Inventar |
#11 erstellt: 25. Jul 2005, 19:59 | |||||||||
Hier liegst Du AFAIK um ca. 100 Jahre falsch, noch um die Wende vom 19. zum 20. Jhd. waren Darmsaiten üblich. Die modernen Kusntstoff- bzw. umwickelten Saiten gab es erst später. Brahms verabscheute angeblich den Klang der frühen Stahlssaiten und bevorzugte Darmsaiten. Aber natürlich gelten seine Einwände nicht in dem Maße für moderne Saiten. (Abgesehen davon teile ich deinen Skeptizismus bezgl. Post-Beethoven-HIP, was nicht heißen soll, dass es einzelne sehr gelungene Aufnahmen späterer Musik gibt. Ich habe zB Brahms Cellosonaten mit Wispelwey. Mir wären aber die antiken Instrumente nicht aufgefallen, wenns nicht auf der CD stünde ;-)
Die Balance ist darüberhinaus etwas, dass sich nicht einfach automatisch mit originalen Instrumenten löst. Selbst auf Studioeinspielungen, bei denen man nicht weiß, was alles gedreht wurde, hat ein historischer Hammerflügel Schwierigkeiten gegen ein ausgeglichen besetztes Orchester anzukommen (z.B. Mozartkonzerte Bilson/Gardiner) Und man kann die Besetzung nicht einfach verkleinern, denn die interne Balance muß bleiben, sonst wird KV 491 ein Konzert für Bläser und Pauken ;-) viele Grüße JK jr. |
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op111
Moderator |
#12 erstellt: 25. Jul 2005, 22:25 | |||||||||
Hallo Kreisler_jun.
klar, 19. Jhd. muß es heißen. Erste spielbare (aber nicht allzu gut klingende) Metallsaiten soll es erst ab ca. 1760 gegeben haben. Gruß Franz [Beitrag von op111 am 25. Jul 2005, 22:28 bearbeitet] |
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Aristipp
Stammgast |
#13 erstellt: 26. Jul 2005, 18:19 | |||||||||
@Susanna: Das mit dem emotionalen Gehalt war von mir missverständlich. Emotional berührt mich Bach ebenfalls sehr viel mehr als Mahler oder Strauss. Was ich meinte, ist etwas anderes: In der vorklassischen Zeit wird der emotionale Affekt im Regelfall noch sehr viel beherrschter und regelgeleiteter umgesetzt. Deshalb auch mein zweites Adejektiv "subjektiv": In Bachs Musik ist nach meinem Eindruck die subjektive Kraft immer in objektive Regeln eingebunden, die sich Bach selbst gegeben hat (also nicht nur zB Fugenschema oder Passacaglia). Im 19. Jh. kommt dem sicher Brahms am nächsten (mit Einschränkungen fällt mir dann noch Reger ein). Gerade wegen dieser Regelgebundenheit, denke ich, ist Bachs Musik emotional so berührend. Zum Thema Historizität allgemein: Jede moderne Aufführung ist meilenweit von den Orginalbedingungen und Verfahresweisen entfernt. Von Bach ist zu lesen, wie er bei Konzerten lautstark den Takt stampfte, damit alle zusammen blieben. Das sagt wohl doch einiges über den Charakter der damaligen Aufführungen aus! Dennoch halte ich es für unverzichtbar, dass sich ein heutiger INterpret über die damaligen Denk- und Fühlwelten (naja, blöder Ausdruck) informiert und versucht, dies mit zu berücksichtigen. Es ist eben nur historisch INFORMIERTE Musikpraxis möglich. Aber auch die Lebenswelten waren 1850 - 1900 andere als heute. Für die Zeit vor 1800 ist das besonders deutlich. Ich kenne kaum eine überzeugende Einspielung eines Orchesterwerks aus der vorklassischen Zeit von vor - ungefähr - 1960. Harnoncourt und Co. haben da bei mir zumindest ganze Arbeit geleistet. UNd gerade den Dogmatismus, den hier der eine oder andere bei den heutigen HIPlern zu bemerken meinte, kann ich kaum sehen: Gerade seit 1995 sind unheimlich viele "saftige", klangsinnliche historische Einspielungen entstanden. Gegen G. Leonhardts Anfänge ist auch das wieder ein riesiger UNterschied. Noch eine Frage an Kreislerjun: Wo ist deiner Meinung nach die Balance zwischen Bilson und Orchester bei den Mozartkonzerten gestört? Ich fand die Balance eigentlich immer recht gut, Klavier ist zwar ins Orchester eingebunden, aber geht nicht unter? Ich freue mich auf eure Widersprüche und Präzisierungen. Ich habe lange nach einem Ort gesucht, wo man so niveau- und lustvoll über Dinge reden kann, bei denen die meisten anderen abschalten. So, das musste mal gesagt werden. Herzlich, Matthias [Beitrag von Aristipp am 26. Jul 2005, 18:21 bearbeitet] |
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Kreisler_jun.
Inventar |
#14 erstellt: 26. Jul 2005, 20:23 | |||||||||
Das verstehe ich wiederum nicht. Was irgendjemand von uns subjektiv empfindet ist ja zweitrangig. Aber warum sollte "Regelgebundenheit" besonders berührend sein? Ist Bach in vergleichsweise freien Präludien, Toccaten oder eher einfach gestrickten Arien weniger expressiv als in der letzten Fuge aus dem 1. Band des WTK? Ich glaube nicht... Ich sehe den Gegensatz auch nicht so zwischen formaler Strenge und "Emotion"; es gibt z.B. von Mahler extrem strenge, dennoch hochemotionale Passagen, z.b. die polyphone "Rondo-Burleske" aus der 9. Sinfonie oder fugierte Abschnitte im ekstatischen Anfangssatz der 8. Es kommt natürlich immer auf das jeweilige Stück, die Stilepoche und den Komponisten an, aber je länger ich überlege, desto mehr Beispiele fallen mir ein, wo starker Ausdruck und musikalisch sehr dichte Komposition zusammenfallen; weitere ins Auge stechendes Beispiele sind der Anfangssatz von Beethovens op.131 oder die Fuge op.133, Mozart: Prager Sinfonie, 1. und 2. Satz, von Bartok dieser Kanon/Fugensatz aus der Musik für Saiteninstrumente. Brahms nanntest Du ja selbst.
IMO ist es öfters hart an oder über der Grenze zum Untergehen; ich muß allerdings gestehen, dass ich noch nie ein historisches Hammerklavier live gehört habe. Die beiden CDs (Konzerte 9,17,18,19), die Staier mit dem Concerto Koeln aufgenommen hat, finde ich um eine Klasse besser (obwohl Gardiner/Bilson keineswegs schlecht sind!) viele Grüße JK jr. |
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Aristipp
Stammgast |
#15 erstellt: 26. Jul 2005, 21:04 | |||||||||
Ich glaube, meine sprachlichen Mittel sind heute Abend schon etwas beschränkt. Genau, was du da beschreibst, meinte ich, trifft für Bachs Werke besonders zu: Musikalisch dichte Komposition, die gerade dadurch eine starke emotionale Wirkung haben. Sicher kann man auch darüber diskutieren, ob eine Musik, die sich an feste Regeln hält, intensiver erlebt wird als quasi "frei von der Leber weg" komponierte. Aber das ist sicher auch wieder eher ein rezeptionsästhetisches Sujet. Ich kann nur von mir sprechen, und da ich mich eher als "Kopf"hörer bezeichnen würde, sagen mir "wuchernde" Kompositionen wie die zB von Strauss gefühlsmäßig eher wenig. Danke für die Hinweise auf "regelgeleitete" Musik des 18./20. Jhs. Vielleicht sind die mir nicht so präsent, weil die Strenge dort sehr stark komplex vermittelt ist, so dass ich die Struktur nicht mehr gehört habe. Zu Mozarts Klavkonz: Ja, Staier IST sicher besser aufgenommen. Aber va ist der Hammerklavierklang von einer perkussiven Kraft, die ich jedem romantischen Klavier erst mal vorziehe. Grüße, Matthias |
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op111
Moderator |
#16 erstellt: 26. Jul 2005, 22:49 | |||||||||
Hallo zusammen,
leider bedient die Industrie nur noch die HIP-Richtung da wünsche ich mir ab und zu ein Kontrastprogramm: Karajans oder Klemperers Bach-Orchestersuiten.
Glücklicherweise, z.B. hier: Dogmatisch ist für mich z.B. oft der Gebrauch intonationsunsicherer schwer zu spielender Instrumente um jeden Preis. Wenn noch ein pedantisches Buchstabieren des Notentextes dazukommt, gute Nacht. Gruß Franz [Beitrag von op111 am 26. Jul 2005, 22:50 bearbeitet] |
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Kreisler_jun.
Inventar |
#17 erstellt: 27. Jul 2005, 20:05 | |||||||||
Ich glaube ehrlich gesagt von beiden Extremen nicht, dass es sie gibt. Regeln als solche finde ich völlig uninteressant; in sehr vielen Fällen sind die auch erst als explizite Regeln aufgestellt worden als der entsprechende Stil schon museumsreif war. Beethoven schrieb über einige Fugen "mit Freiheiten", um Vorwürfe zu entkräften, er könne keine Fugen schreiben. Aber für Bach war es vermutlich ebenso "natürlich" Fugen zu komponieren wie Arien, Präludien u.a. vergleichsweise simple oder lockere Formen. Es kommt u.a. darauf an, was ausgedrückt werden soll, und im Zweifel ist musikalische Dichte (die sich ja auch auf unterschiedliche Art äußern kann) nichts an sich selbst wertvolles, sondern steht im Dienste des Ausdrucks. Strenge im Sinne von ästhetischer Konsequenz ist IMO etwas sehr allgemeines, was wenig mit regelgeleiter Komposition, sondern mit der "Gesamtlogik" eines Einzelwerks zu tun hat. Tondichtungen von Strauss sind vielleicht wirklich ein Beispiel von sehr lockeren, strukturell eher uninteressanten Stücken, aber Mahler ganz gewiß nicht (auch wenn er in den ersten 3 Sinfonien vielelcht mal etwas ausufert), sonst hätte jemand wie Berg ihn nicht so verehrt. Aber das hat mit HIP nach 1850 nun wirklich nichts mehr zu tun... viele Grüße JK jr. |
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Susanna
Hat sich gelöscht |
#18 erstellt: 28. Jul 2005, 22:14 | |||||||||
Hallo Matthias, ja, ich hatte Dich missverstanden. Ich meine, dass jeder Hörer rein subjektiv eine bestimmte Art von Musik emotional empfindet, ob regelgebundene oder relativ regellose (wobei das ja auch wieder eine Regel ist). In dieser Frage schließe ich mich Kreisler an. Ist es nicht auch von frühen Hörgewohnheiten abhängig, wo man seine Präferenzen setzt? Aber auch objektiv kann man, glaube ich, nicht so ohne weiteres sagen, welche Musik in welcher Epoche nun mehr Emotionen weckt.
Das meine ich.
Also muß bei Dir Musik, um Emotionen zu erzielen, erstmal durch den Kopf. Etwas umständlich, aber natürlich auch ein Zugang. (Jetzt kommen natürlich gleich die Schlauen und sagen, alle Gefühle entstehen im Kopf - ja, ich weiß.)
Man könnte daraus schließen, dass das Orchester nicht über die Professionalität der heutigen verfügte und leicht aus dem Takt zu bringen war. Nur damit's historisch ist, wird ja wohl kein heutiger Dirigent stampfen! Harnoncourt in Ehren, doch trotz seiner Forschungsarbeit wissen wir nicht bis ins Letzte, wie damals wirklich aufgeführt wurde. Aber bei unserem Thema geht’s um nach 1850, und da schließe ich mich durchaus Klaus’/ Hildas Meinung an, messe also HIP für diese Epoche keine allzu große Bedeutung zu. @ JK jr.
Wieso? Subjektive Empfindung ist für mich so ziemlich das Wichtigste beim Musikhören, oder verstehe ich Dich falsch?
Also das ist für mich kein Argument für Qualität. So manch Großer hat einen Zeitgenossen schon völlig falsch eingeschätzt. Ansonsten finde ich Deinen letzten Beitrag sehr schlüssig. Viele Grüße, Susanna |
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Kreisler_jun.
Inventar |
#19 erstellt: 29. Jul 2005, 08:05 | |||||||||
Nein, du verstehst sehr richtig. Wir glauben doch nicht im Ernst, wenn wir uns hier über Musik so unterhalten, dass unsere Vorlieben von der Art sind, wie wenn jemand lieber Cola als Fanta oder Weiß- statt Rotwein trinkt? Die subjektiven Empfindungen sind ja nicht beliebig, sonder haben natürlich eine objektive Grundlage. Spannungsbögen, Verdichtungen und Auflösungen sind objektiv in der Musik enthalten. Natürlich sind gefühlte Emotionen ein wichtiger Aspekt des Musikhörens, aber es wurde ja eine Behauptung über das Verhältnis von "Regeln" und Emotionen aufgestellt und gesagt, das "strenge Regeln und Emotion" besonders emotional ;-) seien. Das halte ich für falsch, hauptsächlich wegen der Sinnlosigkeit, Musik in regelstreng und regellos enzuteilen, s.u. Ich hatte vorher selbst gesagt, dass gewisse musikalische Mittel (ich nannte es "Dichte"), die man mit bestimmten technischen Finessen verbindet, durchaus zeitübergreifend zur Ausdruckssteigerung verwendet werden. Aber das hat mit regelgeleitet nicht viel zu tun und man kann auch mit sehr einfachen Mitteln großartigen Ausdruck erreichen (genau für diese Fähigkeit bewunderten Haydn und Beethoven Händels Musik). In den Meistersingern fragt Walther "Wie fang' ich nach der Regel an", worauf Sachs entgegnet "Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann." Das drückt die Dialektitk von Freiheit und Zwang (im Sinne logischer Konsequenz) IMO sehr schön aus.
Argumente aus der Autorität sind problematisch, ich weiß. Aber im Gegensatz zum "Urteil der Zeit" sollte man Expertenurteil lieber nicht unterschätzen. Ich kann es leider nicht an konkreten Stellen festmachen, aber z.b die 9. Sinfonie Mahlers hat großen Einfluß auf die Wiener Schule gehabt; man höre mal den ersten Satz der 9 und Bergs Stücke op.6 im Vergleich. Wie auch immer, der Punkt war, dass ich "regelgebunden" oder "regellos" für unbrauchbare Kategorien halte. Glauben wir wirklich, dass Schönberg in der "Verklärten Nacht" oder gar in den frei atonalen Stücken völlig entgrenzt komponierte, um sich später ein ein enges Korsett der Reihentechnik zu zwängen? Ich glaube das nicht. Vielleicht interessant in diesem Kontext (leider recht langer thread mit einigen Deviationen): http://tinyurl.com/9b4bv JK jr. |
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