Schnittke: Was ist eigentlich mit Schnittke?

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Netotschka
Hat sich gelöscht
#1 erstellt: 16. Feb 2005, 17:45
Hallo liebe Forumsteilnehmer,

kürzlich stieß ich auf eine CD (siehe Abbildung), die durchgehend hinreißend ist. Als Rachmaninov-Fan fiel mir zunächst eben dieser Name auf. (Naja, außerdem stachen mir die zwei Herren ins Auge, die dreinschauen, als ob sie gerade einem sibirischen Gefängnis entfleucht seien. Aber sie machen teuflisch gute Musik!)

Beim Durchhören war ich dann ganz überrascht über die „Suite in the old style“ des Alfred Schnittke. Sein „Pantomime“ muss man gehört haben; überraschend originell finde ich die Stelle, an der der Cellist sein Instrument zu stimmen scheint (so klingt es, irgendwie „kruschelig“), um hernach in schönster Schubert-Manier (?) weiterzuspielen. (Ich wollte das schon unter „Gänsehautstellen“ posten.)

Nun ist aber meine Frage: Was ist eigentlich mit Schnittke? Ich habe noch nie vorher etwas von bzw. über ihn gehört.

Gruß, Netotschka



[Beitrag von Netotschka am 16. Feb 2005, 18:02 bearbeitet]
walter_f.
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 16. Feb 2005, 18:36
>>Was ist eigentlich mit Schnittke?<<

Hallo Netoschka,

ich liebe Schnittke sehr und habe unter http://www.schnittke.de einiges zusammengetragen.
Bei dem großen Werksquerschnitt ist es schwierig, einzele Sachen zu empfehlen.

Vielleicht versuchst Du mal die Gogol Suite/Labyrinths (http://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/-/hnum/6343785)- sehr lustig.

Auch seine Concerti Grossi werden von vielen Leuten gemocht.

In Volker Schlöndorfs Fim "Der neunte Tag" wird u.a.
Schnittkes erstes Cellokonzert verwendet.

Grüsse
Walter
Susanna
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 16. Feb 2005, 19:20
Hallo Netotschka,

gerade gestern (und momentan) hörte ich mir wieder seine Violinkonzerte mit Gidon Kremer an, die mir außerordentlich gut gefallen.
Diese CD ist es:

amazon.de


Das zweite enthält eine Art Scherzo, das seinem Namen alle Ehre macht. Auch zu schönen melodischen Passagen war Schnittke in diesen Konzerten fähig. Natürlich geht's auch schrill zu! Spannend auf jeden Fall!

Ebenfalls gut finde ich diese von Walter erwähnte Musik:
Schnittke:Concerto grosso Nr. 6 f. Violine,
Klavier, Streicher;Sonate f. Violine & Kammerorch.
Auf dieser CD (zusammen mit Werken anderer Komponisten):




Mein Interesse an Schnittke, von dem ich einzelne Kompositionen zwar schon seit Jahren kannte, wurde so richtig erst durch ein Rundfunkinterview kurz vor seinem Tod geweckt. Danach legte ich mir entspr. CDs zu.

Grüße,
Susanna


[Beitrag von Susanna am 16. Feb 2005, 19:21 bearbeitet]
Netotschka
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 16. Feb 2005, 19:36
An Walter:

Danke für den Hinweis auf Deine homepage; sie ist sehr informativ. Deinen Einsteiger-Tipp habe ich notiert.


An Susanna:

Tja, bei den Violinkonzerten hat der Harnoncourt wieder sein Händchen im Spiel – das geht leider nicht für mich. Vielleicht kennt jemand eine Alternative? Die zweite CD steht auf meiner Merkliste zum Reinhören.

Magst Du berichten, worin es in diesem Interview ging und warum hernach Dein Interesse geweckt war? Dieser Schnittke interessiert mich.

Gruß, Netotschka
Hüb'
Moderator
#5 erstellt: 16. Feb 2005, 19:52

Netotschka schrieb:

Tja, bei den Violinkonzerten hat der Harnoncourt wieder sein Händchen im Spiel – das geht leider nicht für mich.


Wann willst Du eigentlich endlich mal mit der Harnoncourt-Story heraus?

Grüße,

Frank
walter_f.
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 16. Feb 2005, 20:02

gerade gestern (und momentan) hörte ich mir wieder seine Violinkonzerte mit Gidon Kremer an



Hallo Susanna,

ca. ein Jahr vor Schnittkes Tod hörte ich Kremer mit einem Violinkonzert (weiss nicht mehr welches - Schnittke war auch anwesend) hier in der Philharmonie. Damals ist der Funke übergesprungen und mein erster CD-Kaufrausch begann.

Es war für mich ein wirklich einschneidendes Erlebnis, denn
bis dahin kam ich gut mit meinem Plattenspieler zurecht - doch jetzt musste zwangsläufig noch ein CD-Player her. Den ersten kaufte ich vor 20 Jahren und habe ihn nach 14 Tagen wieder verkauft.

Nachdem ich im Internet kaum ausreichende Informationen fand, setzte ich mich damals sofort mit dem Sikorski Verlag (http://www.sikorski.de)in Verbindung um näheres zu erfahren, denn bis dahin hatte ich Schnittke nur ab und zu bei Freunden gehört und fand's ganz interessant, hatte mir aber keine weiteren Gedanken dazu gemacht.

Dann kam Daniel Hope mit der von Dir aufgeführten Aufnahme und ich hatte längere "Schnittke-Gespräche" mit ihm.

Tja, so hat sich das Ganze entwickelt.

Liebe Grüsse
Walter
AcomA
Stammgast
#7 erstellt: 16. Feb 2005, 20:11
hallo netotschka,

allmählich finde ich die sache mit harnoncourt wirklich albern und lächerlich !


gruß, siamak
Netotschka
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 16. Feb 2005, 20:22

AcomA schrieb:
allmählich finde ich die sache mit harnoncourt wirklich albern und lächerlich !


Wieso eigentlich? Ich mag ihn nicht, ich brauch ihn nicht, ich will ihn nicht, ich werde ihn nicht kaufen. Punkt. Ohne weitere Erklärung meinerseits, weil einfach für mich Fakt.

Gruß, N.
Hüb'
Moderator
#9 erstellt: 16. Feb 2005, 20:31

Netotschka schrieb:

AcomA schrieb:
allmählich finde ich die sache mit harnoncourt wirklich albern und lächerlich !


Wieso eigentlich? Ich mag ihn nicht, ich brauch ihn nicht, ich will ihn nicht, ich werde ihn nicht kaufen. Punkt. Ohne weitere Erklärung meinerseits, weil einfach für mich Fakt.

Gruß, N. :angel


Weshalb so verärgert? Bei Deinen nebulösen Anmerkungen zu H. sind Nachfragen doch kaum verwunderlich.

Grüße,

Frank


[Beitrag von Hüb' am 16. Feb 2005, 20:33 bearbeitet]
AcomA
Stammgast
#10 erstellt: 16. Feb 2005, 20:32
hallo netotschka,

du kannst mögen oder nicht mögen, wen du willst. nur, mittlerweile formulierst du deine harnoncourt-antipathie in nahezu jedem thread. zum einen klingt es für mich schon wie eine art anti-harnoncourt-fundamentalismus, und zum anderen gibt es in diesem forum einige, welche harnoncourt als mensch und musiker sehr schätzen. zumindest meine gefühle ihm gegenüber werden dadurch verletzt. man kann seine antipathien einmal, zweimal, vielleicht auch dreimal zum ausdruck bringen, aber irgendwo wird dann eine grenze überschritten, wo es dann lächerlich und albern wirkt und damit nicht mehr ernstgenommen wird. was sagt uns die geschichte deines freundes, dass harnoncourt mit seinem dirigat ungeziefer aufgeschreckt hätte ? gar nichts ! genauso könnte man sich lustig machen über die meditationen eines v. karajan und muti, oder über die eruptionen eines bernstein. entscheidend ist das musikalische ergebnis.


gruß, siamak


[Beitrag von AcomA am 16. Feb 2005, 20:36 bearbeitet]
Netotschka
Hat sich gelöscht
#11 erstellt: 16. Feb 2005, 20:40
Du hast Recht, siamak - mir gingen die Pferde sozusagen etwas durch vor Übermut heute. Und weil Du Recht hast, werde ich mich zukünftig zügeln.

MfG
Netotschka
Netotschka
Hat sich gelöscht
#12 erstellt: 16. Feb 2005, 20:46

Hüb' schrieb:
Weshalb so verärgert? Bei Deinen nebulösen Anmerkungen zu H. sind Nachfragen doch kaum verwunderlich.


Hallo Hüb',

auch bei Dir möchte ich mich entschuldigen, falls ich Gefühle verletzte - das lag nicht in meiner Intention. Verärgert war ich keinesfalls, nur etwas übermütig und rigoros (das liegt leider zuweilen in meiner Natur). Legen wir das Thema zu den Akten, ich werde zukünftig einfach meine Kommentare unterlassen.

Gruß, N.
Susanna
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 16. Feb 2005, 20:56

Netotschka schrieb:

Tja, bei den Violinkonzerten hat der Harnoncourt wieder sein Händchen im Spiel – das geht leider nicht für mich.

Hallo Netotschka,

bei meiner Aufnahme dirigiert Christoph Eschenbach! Da stünde einem Kauf doch nichts im Wege, oder? Kremer spielt phantastisch!

http://www.klassik-heute.de/besprechungen/11083.shtml

An das Interview habe ich so gut wie keine Erinnerung mehr; wie üblich wurde halt einiges Biografische erwähnt und natürlich sprach er über seine Komponierweise - und absichten. Das Letztere hat dann mein Interesse geweckt, weil mir alles so plausibel erschien...Sorry, mehr weiß ich einfach nicht mehr. Aber hier gibt's einen Überblick über seine musikalische Entwicklung:

http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/mus/4906.html

Hör' Dir Schnittke mal an, ich denke, seine Musik könnte Dir gefallen.

Grüße,
Susanna
sound67
Hat sich gelöscht
#14 erstellt: 16. Feb 2005, 20:57
Vor etwa einem Jahrzehnt hatte ich eine kurze Phase der "Schnittke-Hysterie", in der ich zwei Dutzend CDs in kürzester Zeit angehäuft habe.

Ich bin aber an seiner Vielschreiberei und der auf Dauer auch wieder gleichförmigen Polystilistik recht schnell ermüdet und seitdem versauern seine Werke bei mir im Schrank.

Gruß, Thomas
antiphysis
Stammgast
#15 erstellt: 16. Feb 2005, 21:07
Ich höre Schnittke immer wieder gern, wobei ich Ermüdungserscheinungen, die sich auf seinen Kompositionsstil beziehen, durchaus nachvollziehen kann.

Auf folgendes Schnäppchen (DVD) möchte ich noch hinweisen (auch wegen der weiteren Werke: Prokofieffs Classique und Strawinskys Feuervogel - einfach atemberaubend unter Gergiev). Von Schnittke ist das Viola-Konzert mit Yuri Bashmet zu hören und zu sehen:


Bei jpc für 6,99 zu haben!

Grüße
Susanna
Hat sich gelöscht
#16 erstellt: 16. Feb 2005, 22:36

walter_f. schrieb:

ca. ein Jahr vor Schnittkes Tod hörte ich Kremer mit einem Violinkonzert (weiss nicht mehr welches - Schnittke war auch anwesend) hier in der Philharmonie.

Hallo Walter und Alle,

um dieses Erlebnis beneide ich Dich! Sowohl was Kremer als auch Schnittke betrifft. Ich bilde mir nämlich ein (oder auch nicht), daß Schnittke schon noch eine Weile überdauern wird. Seine Kompositionen sind nicht "überspannt", sondern können durchaus auch Leuten verständlich sein oder gemacht werden, die ansonsten meinen, mit "moderner" Musik nichts anfangen zu können. Vorausgesetzt, man ist willens, Neues nicht gleich abzulehnen.

Dann kam Daniel Hope mit der von Dir aufgeführten Aufnahme und ich hatte längere "Schnittke-Gespräche" mit ihm.

Welcher Art? Persönliches? Über Schnittkes Kompositionsweise oder Musikauffassung? Da mir der Geiger Daniel Hope auch sehr gefällt, würden mich dessen Eindrücke interessieren!

Grüsse
Susanna

P.s. Mich langweilt oder ermüdet Schnittkes von ihm so definierte Polystilistik, nämlich als "Komponieren in unterschiedlichen Schichten" und „Dialog mit der musikalischen Vergangenheit", nicht.

http://www.sikorski....sers/composer17.html
Netotschka
Hat sich gelöscht
#17 erstellt: 16. Feb 2005, 23:10

Susanna schrieb:
bei meiner Aufnahme dirigiert Christoph Eschenbach! Da stünde einem Kauf doch nichts im Wege, oder? Kremer spielt phantastisch!



Hallo Susanna,

war mein Fehler, sorry! Ich hatte die CD bei jpc.de aufgerufen, ohne auf die Angabe auf dem Cover zu achten. Unter der Artikelangabe bei jpc ist fälschlicherweise Harnoncourt angegeben.

Vielen Dank für die beiden Links. Ich werde auf jeden Fall demnächst in die CD hineinhören.

Viele Grüße,
Netotschka
walter_f.
Hat sich gelöscht
#18 erstellt: 17. Feb 2005, 10:40
>>Welcher Art? Persönliches? Über Schnittkes Kompositionsweise oder Musikauffassung? Da mir der Geiger Daniel Hope auch sehr gefällt, würden mich dessen Eindrücke interessieren!<<

Hallo Susanna,

wir sprachen in erster Linie über seine Musikauffassung.

Daniels Version der "Stillen Nacht" ist bezeichnend. Es ist eigentlich eine karikierte Karikatur.

Seine Schnittke Geschichte findest Du unter http://www.schnittke.de/hope.htm

Liebe Grüsse
Walter
teleton
Inventar
#19 erstellt: 17. Feb 2005, 10:52
Hallo Schnittke-Freunde,

sound67 schrieb:

Ich bin aber an seiner Vielschreiberei und der auf Dauer auch wieder gleichförmigen Polystilistik recht schnell ermüdet und seitdem versauern seine Werke bei mir im Schrank

Mir geht es ähnlich.

Ich hatte mir vor Jahren bei jpc die Gesamtaufnahme der Sinfonien mit einigen Concerto-Grosso auf BIS gekauft. Klanglich alles TOP-Aufnahmen. Aber nachdem ich alles einmal gehört hatte blieben die BIS-CD´s im Schrank liegen - die Musik ist streckenweise einfach zu langweilig.
Da geht nirgendwo richtig "die Post ab" .

Woran liegt dieser Eindruck ?

Ich muß mir mal die Violinkonzerte besorgen, die in diesem Thread positiv angekommen sind !
peet_g
Stammgast
#20 erstellt: 17. Feb 2005, 13:42
Hi!

Ich würde empfehlen, die Musik von Schnittke auf folgenden Wegen kennenzulernen: Zuerst Concerto grosso N.1, dann Requiem, dann die Kantate "Doktor Faustus", dann erst wären Symphonien an der Reihe - die ersten vier auf jeden Fall.

Mit seinen "leichten" Werken anzufangen ist denkbar, nur mit Bedenken: Will man Mozart aufgrund des Dorfmusikantensextets beurteilen?

Gruß


[Beitrag von peet_g am 17. Feb 2005, 22:53 bearbeitet]
Susanna
Hat sich gelöscht
#21 erstellt: 17. Feb 2005, 20:02

walter_f. schrieb:
>>Welcher Art? Persönliches? Über Schnittkes
wir sprachen in erster Linie über seine Musikauffassung.

Daniels Version der "Stillen Nacht" ist bezeichnend. Es ist eigentlich eine karikierte Karikatur.


Hallo Walter,

gerade höre ich nebenbei die Sonate Nr. 3 für Violine u. Klavier, mit D. Hope und S. Mulligan. Dieser 3. Satz, das Adagio (eher ein largo) fließt eigentlich eintönig daher und ist es doch nicht, jedenfalls sehr beruhigend. Es erinnert ein wenig an Bergs Violinkonzert. Dann der Kontrast (die Geige erzeugt "Blitze") im folgenden letzten Satz mit der lustigen Bezeichnung "senza tempo". Mir gefällt dieses Werk sehr!
Die "Stille Nacht" könnte man mit dem von peet_g erwähnten Mozartschen "Dorfmusikantensextett" vergleichen. Beides gekonnte Karikaturen und richtige musikalische Späße. Und beide mit Hintergedanken geschrieben.

Danke für den Link!

Liebe Grüße,
Susanna

@ teleton: Bei der Sonate Nr. 3 geht an etlichen Stellen "die Post ab" - vielleicht könntest Du daran ja Gefallen finden!
Thomas228
Stammgast
#22 erstellt: 14. Okt 2006, 19:27
Guten Abend allerseits (nun ist er ja im Ruhestand, der gute alte Heribert…)),

obwohl dieser Thread größtenteils von Gelöschten bestritten worden ist, möchte ich ihn weiterspinnen.

In den letzten Tagen habe ich wiederholt folgende drei CDs gehört:

amazon.deamazon.de



Die ersten beiden CDs hatte ich schon länger, habe sie aber lange nicht mehr gehört, die dritte ist heute mit der Post gekommen. Jede dieser CDs hat mich begeistert, jede kann ich empfehlen. Nun bin ich allerdings kein Schnittke-Kenner, habe also weder Erfahrung mit der Musik noch Vergleichseinspielungen. Das aber soll sich ändern.

Nur ist es mit der Musik Schnittkes doch recht schwierig. Mir scheint, es gibt bei ihm nicht die typischen Werke, die alle empfehlen. So hat ein Blick in die verschiedenen CD-Führer, die ich besitze, ergeben, dass jeder Führer unterschiedliche Stücke empfiehlt, abgesehen von einzelnen Übereinstimmungen. Das macht den Einstieg schwierig.

Somit frage ich mich, wie geht es weiter? An sich müsste ich mir jetzt wohl die Violinkonzerte kaufen. Die sind mir aber momentan zu teuer… Hat jemand weitere Tipps (abgesehen von den oben bereits genannten)?

Nicht verschweigen möchte ich, dass ich bereits jetzt befürchte, es wird mir ähnlich ergehen wie sound67(-again). Bereits jetzt, im Anfangsstadium des Kennenlernens ertappe ich mich dabei, dass ich das musikalische Handwerk, das kompositorische Geschick Schnittkes bewundere, mich aber doch frage, was das alles soll. Schnittkes Musik scheint mir zuweilen ein musikalisches Glasperlenspiel zu sein. Kompositionskunst auf höchstem Niveau, aber leider ohne echten Gehalt. Ich bewundere die Musik, bemerke aber erstaunt, dass sie mich nicht berührt, dass ihr Tiefe fehlt.

Im Dibelius ("Moderne Musik nach 1945") wird dieses Problem mit Schnittkes Musik – es scheint ein allgemeines zu sein – angesprochen. Dibelus verteidigt Schnittke. Er meint abschließend, Schnittkes Polystilistik sei keinesfalls als bloßes Jonglieren oder als ein Akt falscher Verbindlichkeit mißzuverstehen. Sie sei eine Sprache im bewussten Austausch gerade mit jenen Kräften, die ihr den freien Entfaltungsraum beengen. Dibelius macht diese Einschätzung fest an dem bohrenden Ernst und dem Einsamkeitsgestus des Klavierquintetts oder des Requiems.

Mit Bezug darauf räume ich gerne ein: Mein im vorletzten Abschnitt geschilderter Eindruck resultierte aus dem Hören der beiden erstgenannten CDs, nicht aus dem Hören des Requiems. Mir scheint aber die Tonsprache der beiden erstgenannten CDs doch die für Schnittke typische zu sein. Mal sehen.

Die Faust-Kantate ("Seid nüchtern und wachet") jedenfalls interessiert mich sehr. Welche Einspielung ist empfehlenswert?

Beste Grüße

Thomas
Pink
Ist häufiger hier
#23 erstellt: 14. Okt 2006, 23:32
Hallo Thomas,

zu Schnittke habe ich in diesem von Dir eröffneten Thread zwei CD-Empfehlungen gegeben:

http://www.hifi-foru...um_id=68&thread=1530

Alfred Schnittke (1934-1998):
Psalms of Repentance / (Zwölf) Bußpsalmen für gemischten Chor a capella 1988
Swedish Radio Choir, Tõnu Kaljuste
Aufnahme: Stockholm, 02/1996
ECM 1583 / 453 513-2




Alfred Schnittke (1934-1998):
Choir Concerto / Konzert für gemischten Chor a capella 1984/85
Russian State Symphonic Cappella, Valéry Polyansky
Aufnahme: 1991
Chandos 9332




Deinen Einwand, daß Schnittkes Werke kompositionstechnisch zwar perfekt gestaltet, jedoch ohne emotionale Tiefe seien, kann ich zumindest, was die (beiden) a capella-Chorwerke angeht, nicht bestätigen. Eine ähnliche Beobachtung hast Du ja bereits beim Hören des Requiems gemacht. Genaueres zu den Werken und Einspielungen im oben genannten Thread.

Schöne Grüße
Johannes
Thomas228
Stammgast
#24 erstellt: 15. Okt 2006, 06:32
Hallo Johannes (Pink),

tatsächlich besitze ich die von dir gezeigte Requiem-CD. Weil aber die Interpreten mit der von mir genannten übereinstimmen, ich also denke, dass es sich um dieselbe Aufnahme handelt, nur eben zusätzlich noch das Klavierkonzert enthalten ist, habe ich jene abgebildet/empfohlen.

Handelt es sich entgegen meiner Annahme doch nicht um dieselbe Aufnahme?

Gruß, Thomas
Pink
Ist häufiger hier
#25 erstellt: 15. Okt 2006, 12:28
Hallo Thomas,

es handelt sich bei meiner gezeigten Einspielung um dieselben Interpreten, aber nicht um dasselbe Werk.
Du besitzt das Requiem, ich habe jedoch das Konzert für Chor bzw. Choir Concerto empfohlen.

Johannes
Thomas228
Stammgast
#26 erstellt: 15. Okt 2006, 14:29
Hallo Johannes,

das gibt es doch gar nicht! Bin ich ein Schussel! Nachdem ich eben noch einmal nachgeschaut habe, stelle ich fest: Ich besitze nicht das Requiem, sonden das Choir Concerto, und zwar, wie gesagt, die zweite von dir abgebildetet Aufnahme. Aus irgendwelchen Gründen habe ich es bis eben für das Requiem gehalten. Unglaublich

Es dürfte nicht verwundern, dass ich mir nun sogleich das Requiem bestellt habe. Ich werde berichten, wenn ich es gehört habe - ich schüttele immer noch meinen Kopf. Nichts für ungut und danke für den Hinweis

Thomas
toto_el_bosse
Stammgast
#27 erstellt: 15. Okt 2006, 15:07
Zufällig entdeckt:

Heute, 19:30h auf OE1DD:


Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Dmitri Kitajenko; Antoine Tamestit, Viola.
Dmitrij Schostakowitsch: Pastorale und Capriccio, op. 17
Alfred Schnittke: Konzert für Viola und Orchester
D. Schostakowitsch: Symphonie Nr. 5, d-Moll, op. 47 (Aufgenommen am 13. Oktober im Großen Musikvereinssaal in Wien). Präsentation: Alfred Solder
(Übertragung in Dolby Digital 5.1 Surround Sound)


Grüßle, Toto.
Pink
Ist häufiger hier
#28 erstellt: 15. Okt 2006, 16:52
Hallo Thomas,

null Problemo! So 'ne Verwechslung kann doch mal passieren.
Übrigens, würde mich das Requiem auch sehr interessieren. Freue mich schon auf Deinen Bericht.
Auch, was die 'Psalms of Repentance' betrifft, bin ich mir sicher, daß sie Dir gefallen werden.

Schöne Grüße
Johannes
Thomas228
Stammgast
#29 erstellt: 02. Jun 2007, 11:34


Hallo Pink,

entschuldige die verspätete Antwort. Eigentlich hatte ich vor, dir bald nach Erhalt des Requiems meinen Eindruck mitzuteilen. Wie du vielleicht bemerkt hast, tat ich es nicht. Der Grund ist, dass mir das Requiem deutlich weniger gut gefallen hat als das Choir Concerto und ich dem Requiem daher erst einmal eine zweite Chance geben wollte.

Mittlerweile habe ich es einige Male gehört. Der weniger gute erste Eindruck besteht fort. Warum das so ist, versuche ich hier niederzuschreiben.

Das Choir Concerto ist ein wunderbares, klanglich vergleichsweise einheitliches Chorwerk, in dessen Klang ich baden kann. Dem Requiem fehlt diese Einheitlichkeit. Das Requiem ist unausgeglichen, ist ein Werk der starken Kontraste, der groben Effekte, der abrupten Wechsel. Unmittelbare Übergänge finden sich hier vom Dreiklang zum Atonalen, vom Piano zum Fortissimo, von der Triangel zum Schlagzeug (und zwar dem aus der U-Musik, selbst eine E-Gitarre darf mittun).

Diese Uneinheitlichkeit mag gewollt sein, doch entsteht durch sie jedenfalls bei mir das Bild des Holzschnittartigen, einer Rohfassung, etwas Unfertigen, als ob das Werk noch nicht orchestriert wäre, erst in Grobform vorliegt.

Mich persönlich stört diese Grobheit. Mir fehlt die Ausgewogenheit, die Raffinesse. Diesem Werk hätte ich, hätte ich es ohne Wissen um seine Herkunft kennen gelernt, nicht angehört, dass es von einem bedeutenden Komponisten stammt.

Und doch: Immer wieder gibt es Stellen, die mich packen. Immer wieder gelingt es dem Werk, mich in seinen Bann zu ziehen, oft nicht trotz, sondern gerade wegen der angewendeten Mittel. Beispielsweise wird das Dies Irae derart in den Hörgang gehämmert (im wahrsten Sinne des Wortes – das Schlagzeug leistet Schwerstarbeit), dass ich mich der Wirkung nicht entziehen kann – obwohl es plump ist.

Schnittke selbst stellt die besondere Stellung des Requiems innerhalb seiner Werke heraus. In dem Buch „Über das Leben und die Musik“ stellt Schnittkes Gesprächspartners Alexander Iwaschkin fest: „Nichts existiert in deinen Werken eindeutig – einmal aufgetaucht, bekommt das Thema sofort einen Schatten, wird zum negativ.“ Schnittke bemerkt dazu: „Ich glaube, allein im Requiem ist das nicht so.“

Ich persönlich finde diese Eindeutigkeit uninteressant. Polystilistisch sind hier nur die angewendeten Mittel. Der Inhalt des Werkes ist nach meinem Empfinden eindimensional. Ja, es war zurzeit der Komposition des Requiems in der Sowjetunion verboten, die katholische Totenmesse zu vertonen. Schon deshalb ist, musikhistorisch gesehen, dieses Requiem etwas Besonderes. Deshalb wohl, weil der erste Schritt, nämlich das Ob der Komposition eines Requiems, etwas Besonderes war, hat Schnittke sich weniger mit dem zweiten beschäftigt, der Frage nach dem Wie, nach der Zeitgemäßheit eines Requiems in aufgeklärter Zeit.

Noch einige Sätze zur Aufnahme. Klanglich gefällt sie mir wegen der hervorragenden Räumlichkeit, die den Chor sehr breit und tief zeichnet, sehr gut. Interpretatorisch sind die Leistungen von Dirigent, Chor und Orchester einwandfrei – soweit ich das ohne Vergleichsaufnahme oder gar Partitur beurteilen kann. Leider aber trüben die Gesangssolisten (vor allem die Soprane) den positiven Eindruck. Michael Wersin schreibt in seinem CD-Führer: „Im Kyrie erhalten die verzweifelten Rufe nach Gott im Angesicht des Todes eine geradezu erschreckende Ausdruckstiefe zwischen Flehen, hämmerndem Skandieren und markerschütterndem Aufschreien... und das Lacrymosa gerät zum ernsten und unendlich traurigen Vorgeschmack auf den Gang zum Jüngsten Gericht.“

Wenn ich das lese, frage ich mich, ob ich vielleicht einfach nur die falsche Aufnahme gehört habe (Wersin empfiehlt Kaljuste bei Caprice), ist doch auf meiner CD von einer derartigen Ausdruckstiefe nicht zu hören.

Wohl nicht, denn bei GramoFile heißt es in der Rezension zu oben genannter Aufnahme: „The fact of its composition at a time when religious music was still blacklisted in the Soviet Union is undoubtedly a point of interest (the work was ‘smuggled in’ as incidental music to Schiller’s Don Carlos), and its depth of feeling is never in doubt. But the musical material seems less intrinsically interesting, so that the stylistic tricks to which it is subjected rather lose their point.“ Die Aufnahme Poyanskys wird durchaus empfohlen.

Freundlicher Gruß
Thomas

Nachtrag: Informationen zum Requiem findet man hier.


[Beitrag von Thomas228 am 02. Jun 2007, 16:42 bearbeitet]
Pink
Ist häufiger hier
#30 erstellt: 05. Jun 2007, 00:48
Hallo Thomas,

hab' ganz vielen Dank für den ausführlichen Beitrag und Deine aufrichtige Meinung bzw. Beurteilung von Komposition und Interpretation. Auch finde ich sehr lobenswert, daß Du dem Werk nach dem ersten Nichtgefallen eine neue Chance gegeben hast. Mache ich genauso. Wenn mich ein Stück beim ersten Hören nicht oder wenig anspricht, nehme ich auch mehrere Anläufe, um mich allmählich in die Musik einzufühlen. Ging mir mit Brittens 'War Requiem' ebenso.
Deine Ausführungen über Schnittkes Requiem decken sich ziemlich genau mit denen eines Klassik-Freundes (lustigerweise auch ein Thomas), der sich die Chandos-Aufnahme vor einigen Monaten zulegte und dem das Disparate der Komposition ebenfalls weniger gefallen hat.

Wenn Du aber ein weiteres Werk Schnittkes kennenlernen willst, das ähnliche Qualitäten wie das 'Konzert für Chor' besitzt (im Klang baden usw.), möchte ich Dir die 'Bußpsalmen' / 'Psalms of Repentance' von 1988 sehr ans Herz legen in der oben genannten Einspielung mit dem Swedish Radio Choir unter Leitung von Tõnu Kaljuste. Du wirst bestimmt nicht enttäuscht werden.

Herzliche Grüße
Johannes


[Beitrag von Pink am 05. Jun 2007, 00:51 bearbeitet]
Thomas228
Stammgast
#31 erstellt: 18. Jun 2007, 09:09
Deutlich mehr Freude als das Requiem machen mir seit einiger Zeit die drei Klaviersonaten Schnittkes in der Einspielung von R. Schirmer:



Intensive, aufwühlende, zuweilen auch melancholisch-zurückgenommene, stets aber ausdrucksstarke, mich zutiefst berührende Musik ist hier zu hören. Es handelt sich um Spätwerke Schnittkes, gewissermaßen also um Polystilistik in Vollendung. Wer solcherlei Klaviermusik mag, wird hier fündig werden. Ob die preisgekrönte Aufnahme von Tchetuev empfehlenswerter ist als die von Schirmer, weiß ich nicht, da ich nur die von Schirmer kenne. Mit dieser bin ich jedoch sehr zufrieden.

Viele Grüße
Thomas
Mellus
Stammgast
#32 erstellt: 23. Jul 2008, 20:31
Hallo Thomas und alle anderen Schnittke-Freunde,

bis vor Kurzem kannte ich nur ein paar Filmmusiken von Alfred Schnittke. Die haben mir ehrlich gesagt nicht besonders gut gefallen. Aber es handelte sich halt um Filmmusik, da muss man andere Maßtäbe ansetzen. Jedenfalls habe ich vor wenigen Wochen eine CD mit Klavierkonzerten von Schnittke erworben, ganz spontan, in der irrigen Annahme, dass es sich um ein Sonderangebot handelt. War es nicht, aber egal. Denn auf dieser CD befindet sich das Konzert für Klavier und Streichorchester. Ein unglaublich spielfreudiges, unterhaltsames, originelles Werk! Sowohl das Genre Klavierkonzert als auch der intramusikalische Bezug (Beethoven!) wird schlau-witzig reflektiert.

Von den anderen in diesem Thread vorgestellten Werken kenne ich noch nichts; ich schätze, dass sich das bald ändern wird...

Viele Grüße,
Mellus
Wilke
Inventar
#33 erstellt: 31. Jul 2008, 09:36
wo hast Du es erworben?
Mellus
Stammgast
#34 erstellt: 31. Jul 2008, 10:07
Im CD-Geschäft vor Ort. Beim Stöbern entdeckt. Das ist übrigens ein JPC-Laden.
Thomas228
Stammgast
#35 erstellt: 03. Aug 2008, 12:20
Hallo Mellus,

es freut mich, dass du nun auch dabei bist, Schnittke zu entdecken.

Schnittke hat vier Klavierkonzerte geschrieben, das erste 1960, das letzte 1988. Das von dir genannte dritte Klavierkonzert (für Klavier und Streichorchester), welches mir ebenfalls gut gefällt, entstand 1979. Sehr empfehlenswert und günstig ist diese CD:



Spielfreudig, unterhaltsam, originell, das sind Bezeichnungen, die 100-prozentig auch auf das oben genannte Moz-Art à la Haydn zutreffen.

Von daher gefallen dürfte dir auch die von mir zuletzt erworbenen Schnittke-CD mit den schönen Titeln "(K)eine Sommernachtstraum" und der Faust-Kantate "Seid nüchtern und wachet..."



Viele Grüße
Thomas
Mellus
Stammgast
#36 erstellt: 03. Aug 2008, 17:00

Thomas228 schrieb:
Spielfreudig, unterhaltsam, originell, das sind Bezeichnungen, die 100-prozentig auch auf das oben genannte Moz-Art à la Haydn zutreffen.

Von daher gefallen dürfte dir auch die von mir zuletzt erworbenen Schnittke-CD mit den schönen Titeln "(K)eine Sommernachtstraum" und der Faust-Kantate "Seid nüchtern und wachet..."


Hallo Thomas,

hab vielen Dank für die beiden Tipps! So weiß ich, was ich mir als nächstes von Schnittke vornehmen werde...

Viele Grüße,
Mellus
Thomas228
Stammgast
#37 erstellt: 05. Aug 2008, 14:12
Hallo nochmal, Mellus,

manchmal wird das eigene Verhalten bestimmt durch Zufälligkeiten. Dieser Thread ruhte seit vielen Monaten. Du meldest dich zu Wort. Ich antworte. Prompt läuft gestern Abend im Fernsehen auf Classica ein Schnittke-Themenabend. Ich schaue die Dokumentation „Die imaginäre Welt des Alfred Schnittke“, höre darin Ausschnitte der Faust-Kantate und der Bußpsalmen. Also lege ich heute die dank Johannes´ nachdrücklicher Empfehlung gekaufte CD auf – danke an dieser Stelle für den Tipp, die CD gefällt mir hervorragend – und lese dabei das ausgezeichnete Booklet (ECM!), in dem u. a. ein Überblick über Schnittkes Schaffensweg zu finden ist. Dieser Text gibt mir nun Anlass, dir einige Hinweise zu geben (vorab angemerkt sei, dass ich in den letzten Jahren zwar viel Musik von Schnittke gehört und auch einiges über sie gelesen habe, aber trotzdem bei weitem kein Schnittke-Kenner bin, gleichwohl):

Höre ich ein Werk von Mozart, erkenne ich sofort die für ihn typische Kompositionsweise. Für Schnittke gilt das nicht. Ja, es gibt auch für ihn typische Kompositionstechniken, insbesondere die sogenannte Polystilistik, also die musikalische Konfrontation und Einanderdurchdringung heterogener Materialien und Stile, es gibt insbesondere in der mittlereren Phase die starken Brüche, Akzente, die häufige Verwendung der E-Gitarre. Doch zeigt sich das Werk insgesamt gesehen ausgesprochen vielgestaltig. In den Worten des Booklet-Autors Uwe Schweikert:

„Wer heute das Werk Alfred Schnittkes überblickt, wird darin stilistischen Brüchen von einander so grundsätzlich widersprechenden Richtungen begegnen, dass er sich fragt, wo hinter so vielen Masken hafte Verhandlungsfähigkeit in der Fluchtpunkt des kompositorischen Denkens liege.“

Angesichts dieses Sachverhalts kann es dem Schnittke Kennenlernenwollenden passieren, dass er zu einem für ihn nicht geeigneten Werk von Schnittke greift und deshalb Schnittke insgesamt ablehnt, obwohl es auch und gerade für ihn hervorragend geeignete Werke von Schnittke gibt. Will sagen, dass Kennenlernen von Schnittke erfordert wegen der Vielgestaltigkeit des Gesamtwerks einen längeren Atem und mehr Geduld als bei den meisten anderen Komponisten.

So gesehen hat peet_g völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass man Schnittke nicht kennen lernen kann, wenn man nur die lustigen, unterhaltsamen Stücke hört. Andererseits mag diese lustige Seite Schnittkes ein guter Einstieg sein, um von dieser Warte aus weiterer Erkundungen zu unternehmen.

Die Vielgestaltigkeit des Werkes hängt sicher mit der besonderen biografischen Situation Schnittkes zusammen, der in mehrfacher Weise eine Minderheit angehörte. Schnittke war Kind (wolga)deutscher, zudem jüdischer Eltern. Musikalisch gehörte in den sechziger Jahren den jungen Wilden an, die sich der offiziellen Kulturpolitik nicht unterwerfen wollten. Angeregt durch seinen Kompositionslehrer, einen Webern-Schüler, beschäftigte sich Schnittke zunächst mit Zwölftonmusik und vor allem mit dem damals vorherrschenden Serialismus.

So gibt es aus jener ersten Zeit serielle Kompositionen Schnittkes, die mit dem herkömmlichen Schnittkebild nichts zu tun haben.

Unzufrieden mit der durch das serielle Komponieren einhergehenden, jedenfalls von Schnittke so empfundenen Einengung, Schnittke empfand vor allem eine unzureichende Räumlichkeit des Klanges, eine Nur-Flächigkeit, ihm – als Wilden – missfiel außerdem besonders, dass das musikalische Geschehen regelmäßig nur im Kleinen stattfand. Er wollte Großes – typisch für die aufbegehrende Jugend, möchte ich hinzufügen.

Dieses Große brachte die 1. Symphonie. Ein bahnbrechendes Werk großen Ausmaßes, ein musikalischer Schock, in dem Schnittke, gewissermaßen Mahlers ganze Welt auf die Spitze treibend, diverse Versatzstücke aller musikalischer Sphären wild durcheinander mengte. Die Polystilistik war geboren.

Jeder Schnittke-Liebhaber weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Polystilistik mehr ist als bloße Collage, dass Schnittke vielmehr versucht, das heterogene musikalisch zu integrieren, die Vielfalt in die Einheit zurückzuführen.

Viele Werke dieser Art entstehen in den siebziger Jahren. Dann aber findet sich Schnittke ab von dem musikalisch grellen und hin zu den tieferen Fragen des Menschseins.

Als Anstoß für diesen Weg wird regelmäßig der Tod der Mutter 1972 genannt. Schnittke, der Religion schon immer verbunden, konvertiert Muster 1982 zum Katholizismus. Vor Augen hatte dabei seine Großmutter, die insoweit als gläubige Katholikin für Schnittke Vorbildfunktion hatte.

Unmittelbaren Ausdruck findet der Tod der Mutter in dem Klavierquintett, das der genannte Booklet-Autor Schweikert mit dem großen Klagegesang im ersten Satz als das eigentliche Gegenstück zur explosiven 1. Sinfonie nennt – es gibt eine sehr gute Einspielung günstig bei Naxos.

Das oben vorgestellte Requiem kann man als Übergangswerk vom brutalen zum verinnerlichten Ausdrucksgestus verstehen.

Später kommt dann das ausdrucksvolle Chor-Konzert – vollsaftig – und schließlich stehen am Ende dieses Weges die asketischen, tiefempfundenen Bußpsalmen.

Soweit erst einmal. Lese ich das bis hierher geschriebene noch einmal, fällt mir auf, dass vieles nur angerissen, holzschnittartig dargestellt wird. Nicht einmal erwähnt habe ich das Opernschaffen, die Violinkonzerte, die weitere Kammermusik. Na ja, soll ja auch keine Hausarbeit werden.

Zum Weiterlesen ist das antiquarisch günstig erhältliche Interview-Buch „Über das Leben und die Musik" zu empfehlen.

Zurück zu deiner Frage:

Der „lustige“ Schnittke ist zu finden in Mozart à la Haydn (der Titel erklärt sich daraus, dass Mozart-Zitate verwendet werden und am Ende die Musiker nach Art der Abschieds-Sinfonie die Bühne verlassen), im (K)ein Sommernachtstraum, in der Gogol-Suite. Die Faustkantate – Vorläufer einer Faustoper – ist nicht eigentlich lustig, sondern vielmehr originell. Für Schnittke hat sie einen ernsten Hintergrund. Das Faust-Thema hat Schnittke sehr interessiert. Die Aussöhnung des neuzeitlichen Menschen mit dem Religiösen, die Anfeindungen des Guten durch das Böse sind Themen, die Schnittke beschäftigt haben.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch von Interesse, dass Schnittke sich selbst nur als Werkzeug empfunden hat. Er hat nach seinem Verständnis nicht schöpfend komponiert, sondern nur aufgeschrieben, was er gehört hat. Schnittke beschreibt das so (Zitat nach dem Booklet): „Meine Aufgabe sehe ich nicht darin, Musik auszudenken, zu schaffen, sondern zu hören. Es geht darum, mein Ohr nicht zu stören beim Hören dessen, was außerhalb von mir existiert … Ich bin nicht Resultat, sondern nur Werkzeug; etwas außerhalb meiner selbst wird durch mich hörbar.“

Falsch wäre es allerdings, diese Sichtweise allein auf das Religiöse zu beziehen. Sie gilt für die ganze Musik. Für den modernen Menschen in seinem gesamten Umfeld.

Zum weiteren Überblick verweise ich auf die treffenden Kurzcharakterisierungen des Booklet-Autors:

-1. Symphonie: plakativer Anarchismus mit echten und/oder erfundenen Zitaten
-Bußspsalmen: asketische Strenge
-1. Streichquartett: zerfaserter Tonfall, strikt seriell durchkomponiert
-4. Symphonie: diatonisch gehärteter Neoklassizismus
-Concerti grossi: durchgespielte barocke Stilmodelle
-Konzert für Chor: kirchentonales Psalmodieren
-Streichtrio: intim, introvertiert
-4. Streichquartett: vor expressivem Ausdruck berstend.

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass Schnittke in Deutschland Ende der Siebziger Jahre mit dem Concerto Grosso Nr. 1 den Durchbruch geschafft hat – ein sehr hörenswertes Werk, zum Einstieg in den mit barockem Muster operierenden Schnittke gut geeignet.

Mich sehr beeindruckt hat die Cellosonate Nr. 1, die ich als Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Regime verstehe – zu ihr habe ich bei Tamino einen kleinen Beitrag geschrieben, den du dort leicht finden dürftest (im Themenverzeichnis enthalten). Kliegel ist mehr als okay, Ivashkin ist dennoch besser.

Erinnert sei überdies an die oben erwähnte, informative Schnittke.de-Seite

Zusammengefasst gibt es bei Schnittke serielle und anarchische, ernste und lustige, introvertierte und expressive, asketische und plakative, politische und religiöse, atonale und barocke, angenehm zu hörenden und schräge, barocke und neoklassizistische, oberflächliche und tiefgläubige Facetten. Sie alle zusammen machen erst den ganzen Schnittke aus.

Den von mir in einem früheren Beitrag wiedergegebenen Eindruck, Schnittke sei womöglich schnell eintönig, kann ich heute, du wirst es dir denken können, nicht mehr nachvollziehen. Andersherum wird ein Schuh draus. Kaum jemand ist so vielgestaltig wie Schnittke. Richtig ist aber wohl die Einschätzung, dass Schnittke, einem ausgewiesenen Vielschreiber, nicht alles gelungen ist. Aber, bei wem ist das nicht so?

Viel Spaß bei deinen Erkundungen wünscht

Thomas
Mellus
Stammgast
#38 erstellt: 08. Aug 2008, 06:40
Hallo Thomas,

ob die Macher von Classica hier mitlesen und ihre Programme danach ausrichten? Leider habe ich die Schnittke-Sendung verpasst (einen Sender, der so heißt, empfange ich sowieso nicht). Sie scheint sich ja gelohnt zu haben. In Sachen Schnittke bin ich noch nicht weitergekommen, Dein Beitrag bietet aber eine gute Orientierung!

Jedenfalls habe ich gestern an Schnittke und Dich gedacht ("Spielfreudig, unterhaltsam, originell") als ich Bad Attitude für Cello und Klavier von Moritz Eggert gehört habe: ein witzig-unterhaltsamer stilistischer Schmelztigel in rasantem Tempo. Hörbeispiele gibt es bei JPC, Tracks 2 bis 4 (insbesondere 3 und 4 eignen sich zum Anspielen). Vielleicht gefällt Dir das ja auch. Aber man beachte die Pressestimmen: "Das muss man nicht mögen"!

Viele Grüße,
Mellus
Wilke
Inventar
#39 erstellt: 04. Apr 2011, 15:13
Heute habe ich mir mal die Sonata 1 für Violine und Piano angehört - ist nicht so mein Fall, etwas kakaphonisch.
gruß Wilke

(höre da doch lieber die 1. sonate von Prokoviev.
Schneewitchen
Inventar
#40 erstellt: 16. Jul 2011, 13:48

Mellus schrieb:
..auf dieser CD befindet sich das Konzert für Klavier und Streichorchester. Ein unglaublich spielfreudiges, unterhaltsames, originelles Werk!
Mellus


amazon.de,amazon.de

Das Konzert für Klavier und Streichorchester ist wirklich ein originelles Werk.Nachdem ich es vor einigen Monaten gehört habe,gehört es nachhaltig zu den Klavierkonzerten,die ich besonders gerne höre.Es hat bei mir einen Stammplatz erhalten.
Ich höre es immer voll konzentriert und aufmerksam,einfach so nebenbei geht garnicht.
Sumpfkraut
Ist häufiger hier
#41 erstellt: 28. Aug 2011, 20:04
Ich mag diesen Thread, ohne ihn hätte ich mich wahrscheinlich nicht weiter mit ihm befasst. Hatte mal eine Aufnahme von irgendeinem Faggotkonzert oder so in die Finger gekriegt, ist aber dann auch irgendwann ins Vergessen geraten.

Anbei, schöne Beethoven-Hommage hat er hier geschrieben. Tschaikovskij (ja ich schreib das so)is auch drin. Und sowieso soooo viele! Lustiges Stück.


[Beitrag von Sumpfkraut am 28. Aug 2011, 20:10 bearbeitet]
Steffen_Bühler
Inventar
#42 erstellt: 19. Sep 2019, 14:00
Ich wärme hier mal wieder auf.

Interessant, dass hier soviel von der "Lustigkeit" Schnittkes geschrieben wird. Ich durfte gestern die erste Sinfonie unter Gergiev erleben, und was sagt mein Sitznachbar hinterher zu mir: "Das war lustig". Ich musste erst einmal zustimmen: das ist auf jeden Fall ein passendes Wort.

Natürlich grenzt es an Komik, wenn zu Beginn der erste Geiger wild spielend auf die leere Bühne rennt, ein Blechsolo vom Orchester mit Applaus bedacht wird, das Holz unter rattenfängerartiger Führung des ersten Flötisten im Gänsemarsch den Saal verlässt. Und auch wenn plötzlich Bierzeltmusik erklingt oder laut Wiki ein Beatleslied (welches eigentlich?), muss man durchaus grinsen.

Aber insgesamt ist diese Sinfonie für mich sehr vergleichbar mit Ravels "La Valse": ein Abgesang auf alle traditionellen Formen. So wie Ravel den Walzer parodiert, als ob er ihn regelrecht hasst, so zerstört Schnittke so ziemlich alles, was bisher als "schöne" Klassik daherkam. Da fängt man gerade an, die Bachzitate oder auch nur einen langanhaltenden Durakkord zu genießen, schon kommt der nächste zerstörende Rumms. Adorno dürfte sowas gefallen haben.

Was aber bleibet? Auf jeden Fall ein großer Eindruck, was man mit einem Orchester alles machen kann. Teilweise glaubte ich, Synthesizerklänge zu hören. Und die Jazzeinlage mit Bass und Flügel war auch hörenswert. Ja: es hat mir gefallen und war keineswegs nur lustig.

Viele Grüße
Steffen
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