Walter, Bruno (1876-1962) - mehr als nur ein Nachschaffender?

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Hüb'
Moderator
#1 erstellt: 08. Aug 2010, 17:21
Bruno Walter (1876-1962)

Hallo,

vielen dürfte der Dirigent Bruno Walter bestens bekannt sein. Ein Großteil seiner Aufnahmen ist bei CBS/Sony erschienen und sie sind ihrerseits Klassiker des klassisch-romantischen Repertoires. Wesentlich weniger bekannt ist sein kompositorisches Schaffen, welches im Konzertleben keinerlei Rolle spielt und selbst diskographisch - in einer Zeit, wo beinahe jede Nische beleuchtet wird - kaum dokumentiert ist.

Auf die folgenden Einspielungen möchte ich hinweisen:

jpc.de

Seine Violinsonate scheint derzeit das einzige, auf Tonträger greifbare, instrumentale Kammermusikwerk zu sein. Es gibt sogar eine Alternativaufnahme, bei der ich allerdings die Kopplung mit Pfitzners e-moll-Sonate "ideologisch bedenklich" empfinde.
In meinem CD-Regal steht jedenfalls die Hyperion-CD und ich verspüre keinen Wunsch nach einer Alternative.

jpc.de

Walters Liedschaffen ist vollumfänglich in Lizenaufnahmen bei Brilliant Classics zugänglich. Da ich zu Liedgesang kaum Zugang habe, muss ich weitere Hinweise leider schuldig bleiben.

jpc.de

Sinfonie d-moll (1907)
NDR Sinfonieorchester, Leon Botstein
CPO, 2007

Das bedeutenste auf CD erschienene Werk dürfte die Sinfonie in d-moll sein. Die vier Sätze der Sinfonie sind folgendermaßen überschrieben:

1. Moderato
2. Adagio
3. Allegro con brio
4. Agitato

Hier gibt es bereits einige Eindrücke aus dem "Was hört ihr gerade jetzt?"-Thread:

Kaddel4 schrieb:
Die Nähe zum bewunderten Freund Mahler ist in Bruno Walters spätromantisch geprägter Musik allgegenwärtig, in einzelnen Tutti-Steigerungen meine ich auch Strauss'sches Kolorit herauszuhören. Ob die ihm von zeitgenössischen Kritikern bescheinigte Originalität nun einem natürlichen Fluss folgt oder zwanghaft aufgesetzt ist, ob Singuläres von bleibendem Wert oder der sinfonische Versuch eines komponierenden Meisterdirigenten vorliegt, vermag ich (zumindest nach einmaligem Hören) nicht zu beurteilen. Mich hat sie beim ersten Höreindruck - im Gegensatz zu Hauseggers Sinfonie kürzlich - nicht gerade umgehauen. Das kann aber auch an dem Spiel der NDR-Sinfoniker liegen, das passagenweise leider doch recht buchstabiert klingt, wenig verinnerlicht. Ich werde in den nächsten Tagen nochmal genauer hinhören.


Hüb' schrieb:
Deine Eindrücke decken sich aber mit meinen. Auch ich musste - neben Wagner - beim anhören an Strauss denken. Ich glaube allerdings nicht, dass die Interpretation nicht ok ist oder groß steigerungsfähig wäre. Mich haut die Musik - trotz hörbarer kompositorischer Bemühtheit und Könnens - nicht gerade um. Selbst nach mehrmaligem Hören nicht.

Hier ein paar weitere Eindrücke aus den Weiten des WWW:
http://www.musicweb-.../Walter_7771632.html
http://www.stereopla...ein-2007-269127.html
http://www.audaud.com/article.php?ArticleID=5299


Joachim49 schrieb:
ich habe sie erst einmal gehört, da ist es nicht leicht darüber zu schreiben. Aber ich melde mich in kürze noch mal. Im Vergleich zu Weingartners 5. Sinfonie (1924) (die ich auch gerade hörte) ist Walters Sinfonie (1906/7)deutlich auf der Höhe der Zeit (durch den Einfluss Mahlers), während Weingartner geradezu provokativ zurückgewandt ist.
(...)
Also ich habe jetzt schon drei Versuche unternommen den fast 20-minütigen Kopfsatz konzentriert zu hören, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe den Eindruck, dass Walter jede Minute eine neue Idee präsentiert, statt mit denen etwas anzufangen, die er schon ausgeführt hat. Die Architektur dieses mit gewaltigen Mitteln instrumentierten Kopfsatzes bleibt mir bisher verschlossen, es ist als ob die Motive auf eine beliebige Weise aneinandergereiht sind. Aber das mag an mir liegen, dass ich keine Form erkenne.
(...)

flutedevoix schrieb:
Ist denn die Walter-Sinfonie stilistisch eher ganz im Umfeld Mahlers (vermutlich aufgrund Walters Affinität zu Mahlers Musik) anzusiedeln oder zeigt sie auch andere Einflüsse der Zeit, z. B. Richtung Atonalität (Berg, Schönberg, Webern), impressionistische Elemente (Debussy, Ravel) oder ist sie noch deutlich spätromantischer (Orchesterwerke von Richard Strauss)?

Walters Sinfonie ist deutlich noch spätromantisch, in Richtung Atonalität oder Impressionismus höre ich nichts. Einflüsse Mahlers sind manchmal deutlich zu hören, aber insgesamt wirkt die Sinfonie nicht als ein Werk im Stile Mahlers.

Der Labeltext:

CPO schrieb:
Bruno Walter als Symphoniker

Einige Künstler vollbringen auf einem Gebiet derart große Leistungen, dass ihre anderen Talente, so beachtlich sie auch sein mögen, darüber in Vergessenheit geraten. Das geschah auch Bruno Walter, der mit seiner Bedeutung als Dirigent sein nicht unerhebliches kompositorisches Schaffen völlig in den Schatten gestellt hat. Dabei sah es in seinen jungen Jahren ganz anders aus: Als Richard Specht 1910 einen langen Artikel über junge Wiener Komponisten veröffentlichte, stellte er Bruno Walter an den Anfang dieses Essays, in dem er unter anderem auch solch avancierte Künstler wie Schönberg, Zemlinsky und Schreker behandelte. Walter war als Komponist sehr selbstkritisch, und nachdem er Mahlers 9. Sinfonie uraufgeführt hatte, stellte er das Komponieren ganz ein in der Gewissheit, solch einen musikalischen Gipfel selbst nie erreichen zu können. Seine d-moll Sinfonie von 1907 ist nichtsdestotrotz ein ehrfurchtgebietendes Meisterwerk, das weder rückwärtsgewandt ist, noch – trotz mahlerischer Details – ein Mahler-Imitat, sondern eine originelle Symphonik, die eine Verbindung zum damals im Entstehen begriffenen Expressionismus herstellt.

Und noch die Besprechung auf klassik-heute.com

Selbst nach mehrmaligem Hören nicht.

In dieser Hinsicht darf ich mich übrigens korrigieren. Die Sinfonie bietet dann doch viele sehr schöne und lohnende Momente. Gerade er 4. Satz "Agitato" ist wirklich wundervoll. Allerdings bleibt das Gesamtwerk zwar interessant, aber rätselhaft und nicht unmittelbar aufschlußreich. Hier muss man als Hörer erst einmal ganz schön investieren, um die Musik mögen zu können.

Über weitere Eindrücke, Tonträgerhinweise etc. freue ich mich natürlich sehr!

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 09. Aug 2010, 08:09 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#2 erstellt: 08. Aug 2010, 17:39
Hallo,

ich würde mich insbesondere freuen, wenn mir jemand mit einem Werkverzeichnis zur Hand gehen könnte. Ich google mir gerade vergeblich die Finger wund...

Grüße
Frank
Deukalion
Inventar
#3 erstellt: 08. Aug 2010, 19:50
Hallo Frank!
Tja, ein Werkverzeichnis des Komponisten Bruno Walter zu finden, scheint in der Tat schwierig zu sein! Ich habe zahlreiche Lesezeichen gespeichert, die Zugriff auf die Werkverzeichnisse auch sehr ausgefallener Komponisten bieten, aber ein Bruno Walter- Werkverzeichnis bieten die alle nicht. Selbst die "The Bruno Walter Memorial Foundation" würdigt Walter als Dirigenten, aber nicht als Komponisten - tut mir leid! Ist quasi spiegelbildlich zu Brahms: Brahms war ein überragender Komponist und ein mäßiger Dirigent, bei Bruno Walter ist es vielleicht umgekehrt!
Schönen Abend
Hartmut
Hüb'
Moderator
#4 erstellt: 09. Aug 2010, 05:42
Hallo Hartmut,

danke für Deinen Hinweis, zeigt er doch immerhin, dass ich mich bei der Suche nicht ganz so dämlich angestellt haben kann...

Grüße
Frank
Martin2
Inventar
#5 erstellt: 09. Aug 2010, 21:46
Ja, ich kenne den Komponisten Bruno Walter nicht. Aber ich habe doch irgendwie so den Verdacht, daß es im Bereich klassischer Musik wichtigeres gibt als Bruno Walter. Auch ohne ihn zu kennen. Wollte ich mir nicht bei Gelegenheit Mendelssohns 5. Sinfonie doch noch mal rein ziehen? Und Bachs H moll Messe - die habe ich zweimal neulich gehört und die hat geniale Momente und ich wollte sie unbedingt noch mal hören. Überhaupt Bach - auch die Passionen kenne ich noch nicht mal vernünftig. Und Händel ( vielleicht mein Lieblingskomponist) - auch da gibt es noch so einiges zu entdecken. Mit Haydn bin ich noch lange nicht durch. Mit Mozart. Ach was weiß ich.

Und da sollen mich ernsthaft die Werke von Bruno Walter interessieren, die den großen Durchbruch ja wohl offensichtlich nicht geschafft haben und die den großen Durchbruch sicher geschafft hätten - dafür ist Bruno Walter bekannt genug - wenn sie denen von Mahler, Sibelius oder Strauss ebenbürtig wären?

Nein, dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Gruß Martin
Hüb'
Moderator
#6 erstellt: 10. Aug 2010, 06:14
Hallo Martin,

sooo bedeutungslos ist die Musik nun wahrlich nicht. Da gibt es aus dem Blickwinkel meines ganz persönlichen Geschmacks eine ganze Reihe "Kleinmeister" aus Barock- und (Vor-/Früh-)Klassik, deren Beschäftigung mich deutlich weniger reizt. Gleiches gilt für viele (neo-)romantische Komponisten.

Für Walter-Fans würde ich den Kauf zumindest der Sinfonie als "Pflicht" bezeichnen, rundet die Einspielung doch das Bild des Interpreten Bruno Walter ab (zumal zum Budget-Preis der CPO-CD). Es ist halt keine Musik, die ob ihrer Innovationskraft den Hörer unmittelbar von etwas radikal Neuem überzeugt. Insofern ist da die Erwartungshaltung gegenüber den Kompositionen eines solch berühmten Interpreten vielleicht einfach zu hoch, als das sie mit den Mitteln überhaupt einzulösen wäre, die Walter als die für sich richtigen erkannt hat (Festhalten an der Tonalität, Wahl der Sinfonie als Form aber ausufernde Struktur innerhalb der Form...). Mahler hin oder her, aber die Ähnlichkeiten sind bspw. nicht so frappierend, wie diejenigen zwischen Mahlers erster Sinfonie und derjenigen von Hans Rott (wobei die Frage der Inspiration - wer hat wen beeinflusst? - hier eine gänzlich andere sein dürfte ;)).

Mein Fazit: ja, die Beschäftigung lohnt sich...
...für alle Walter-Fans
...für Freunde der Spätromantik
...für Anhänger der Musik Gustav Mahlers
...für Spurensucher und Nischenwühler wie mich...

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 10. Aug 2010, 09:08 bearbeitet]
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