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Was hört Ihr gerade jetzt? (Klassik !!!)

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arnaoutchot
Moderator
#31573 erstellt: 14. Mrz 2025, 21:12
Bis gestern war mir Mason Bates (*1977) kein Begriff. Er gehört wohl inzwischen zu den meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten in den USA, viele renommierte Orchester und Interpreten spielen sein Kompositionen, die ich im Spannungsfeld von grossorchestraler Symphonik und moderner Elektronik ansiedeln würde. Den hier mit dem SFSO und Tilson Thomas (SFS media SACD MCh 2015) eingespielten Zyklus Alternative Energy finde ich grandios !

jpc.de
Mars_22
Inventar
#31574 erstellt: 15. Mrz 2025, 16:20

arnaoutchot (Beitrag #31573) schrieb:
Bis gestern war mir Mason Bates (*1977) kein Begriff.

Mir auch nicht ... klingt richtig interessant, wobei das Klingen ganz wesentlich ist. Höre mit dem Kopfhörer, das ist extrem angenehm, also eine gute Basis um weiterzuhören
Hörstoff
Inventar
#31575 erstellt: 16. Mrz 2025, 19:50
Rachmaninow-Sinfonien? Einmal lohnt sich bestimmt, war schon ein Großer. Am besten eingangs eine hochgelobte GE zulegen. Wenn dann die Freude am Hören wächst, wächst sicherlich auch die Sammlung.

Bei mir läuft gerade sehr Erfreuliches, zumal ich nach dem Titel-Denglisch doch erst eher skeptisch war: Andy Pape: An Amerikaner in Danmark, Werke: Tuba Concerto; Bassoon Concerto; An Americaner in Danmark (a tribute to George Gershwin) von Carl Boye Hansen, Morten Østergaard, Odense Symphony Orchestra/Henrik Vagn Christensen.

amazon.de

hraudio.net schreibt dazu:

The composer Andy Pape (b. 1955) was born in Hollywood, California but came to Denmark to study in 1971 and ended up making his home in this small Nordic country. The title work of this CD, An Amerikaner in Danmark, is not just a reference to the composer himself, but also a humorous and brilliantly orchestrated tribute to the composer George Gershwin. It is presented on this world premiere recording together with the tuba concerto Suburban Nightmares and the bassoon concerto Traces of Time Lost.

arnaoutchot
Moderator
#31576 erstellt: 17. Mrz 2025, 22:56
Hier weiter mit Elektronik: Electronic Panorama - Philips 4LP 1970. Eine Kompilation von Philips aus dem Jahr 1970, die anhand der damals führenden Elektronik-Studios für zeitgenössische elektroakustische Musik in Paris, Warschau, Utrecht und Tokio einen Überblick über die damalige Szene gibt. Die Komponistennamen stehen unten auf dem sehr aufwendig gemachten Cover. Die LPs sind nach 55 Jahren scheinbar unberührt ... Es gab nie eine Nachpressung oder gar physische digitale Ausgabe und man kann es mW auch nicht streamen, nur LP-Rips sind in YT hochgeladen. Hoch faszinierende Musik !

enterprise11
Stammgast
#31577 erstellt: 18. Mrz 2025, 01:25
Kennst Du die Sachen des Philips Studios in Eindhoven aus den 50er (!) Jahren?
Unfassbar genial und ihrer Zeit weit voraus, wie ich finde.

Tom Dissevelt
arnaoutchot
Moderator
#31578 erstellt: 18. Mrz 2025, 12:04
Nein, leider nicht. Klingt aber sehr interessant, danke. 👍 Da muss ich mal weiterforschen ... es hört doch nie auf.
Hüb'
Moderator
#31579 erstellt: 18. Mrz 2025, 15:50

arnaoutchot (Beitrag #31576) schrieb:
Hier weiter mit Elektronik: Electronic Panorama - Philips 4LP 1970.

Falls von Interesse: nicht ganz billig.
arnaoutchot
Moderator
#31580 erstellt: 18. Mrz 2025, 19:56
Ja, diese alten LP-Boxen sind sündteuer geworden, gleiches gilt zB für die Avantgarde-Reihe der DGG. Der vierte Teil wird aktuell ab €400 angeboten. Wir haben einen Schwung dieser Boxen in den Laden bekommen, die ersten drei Teile haben wir alle schon jeweils dreistellig verkauft, obwohl die ja erst kürzlich auch als CD-Box wiederveröffentlicht wurden. Den vierten Teil haben wir aktuell noch.

Die Electronic Panorama wird wohl bei mir bleiben müssen ...
arnaoutchot
Moderator
#31581 erstellt: 19. Mrz 2025, 19:59
Heute weiter in der äusserst unterhaltsamen und abwechslungsreichen Electronic-Panorama-Box. Beim Hören in Stereo kam mir nur immer wieder der Gedanke, dass die Elektroakustiker natürlich schon meist in Mehrkanaldimensionen dachten. Da fiel mir die 2CD-Box von Col Legno aus 2016 ein (Les Espaces Electroacoustiques), die genau dieses Problem behoben hat und in der bahnbrechende Stücke von Varèse, Berio, Ligeti, Maderna, Boulez etc. auf Basis der Original-Tapes in MCh remixt wurden. Ich hatte es hier schon mal gehört (im MCh-Thread). Gibt es per heute sogar noch zu kaufen, klick the pic.


Les Espaces Electroacoustiques - Masterpieces of electroacoustic music, col legno 2 SACD 5.1 2016. Wichtige Werke, die von zeitgenössischen Komponisten bereits in den 1950er Jahren in Raumklang erdacht waren (allen voran Edgard Vareses Poème Electronique von 1958). Sehr interessant, aber ziemlich schwere Kost ...

jpc.de


[Beitrag von arnaoutchot am 19. Mrz 2025, 20:00 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31582 erstellt: 20. Mrz 2025, 19:30
jpc.de
Anton Bruckner (1824-1896)
Symphonie Nr. 7

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester, Günter Wand
HM/ RCA, 1974-1981

Sicherlich immer noch ein Meilenstein, trotz mittlerweile rd. 50 Jahren Bruckner-Rezeption, die zwischen damals und heute liegen.

R.​Wagner in FonoForum 9/82:"Es hat schon lange keinen Schallplatten-Zyklus mehr gegeben, der so einheitlich, so gleichmäßig hochwertig geriet wie die Gesamtaufnahme der Bruckner-Sinfonien durch das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester unter Günter Wand! .​.​Ein wichtiges, mehr noch: ein herausragendes Ereignis.​"


Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 20. Mrz 2025, 19:43 bearbeitet]
Hörstoff
Inventar
#31583 erstellt: 20. Mrz 2025, 23:41
Zum Tagesschluss filigrane, hochvirtuose, offenbar unter dem Radar der Rezensionen fliegende Klaviermusik von Poskute und Daukantas - und natürlich von Saint-Saëns. Ein Genuss, feinste Anschlagtechnik - auch wenn ich von Klaviertechnik keine Ahnung habe, erlaube ich mir dies aufgrund des Impacts anzumerken. Von Ars klanglich wunderbar in Surround eingefangen.

jpc.de


[Beitrag von Hörstoff am 20. Mrz 2025, 23:42 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31584 erstellt: 21. Mrz 2025, 12:12
jpc.de
Malcolm Arnold (1921-2006)
Symphonie Nr. 9

National SO of Ireland, Andrew Penny
Naxos, 1995

Malcolm Arnolds 9. Sinfonie, vollendet im Jahr 1986, ist ein tiefgründiges, introspektives Werk und stellt den Abschluss seines sinfonischen Schaffens dar. Die Sinfonie ist Anthony Day gewidmet, einem engen Freund und Betreuer, der Arnold in einer schwierigen Lebensphase zur Seite stand. In vielerlei Hinsicht wirkt die 9. Sinfonie wie ein musikalisches Vermächtnis – eine Art künstlerischer Abschied.

Der Stil der Sinfonie ist durchgehend von Ernst, Dunkelheit und innerer Einkehr geprägt. Anders als viele seiner früheren Werke, die oft von einem gewissen britischen Humor, Farbigkeit oder rhythmischer Energie leben, zeigt sich Arnold hier fast völlig von diesen Charakteristika befreit. Die Musik wirkt stellenweise abweisend, verschlossen und von tiefer Melancholie durchdrungen. Besonders der abschließende vierte Satz ist von einer radikalen Ruhe und Einfachheit geprägt – ein langsames, beinahe stilles Verlöschen, das von manchen Hörern mit Schuberts *Winterreise* verglichen wurde. Diese Assoziation unterstreicht die einsame, resignative Grundstimmung des Werks.

Formal besteht die Sinfonie aus vier Sätzen. Der erste beginnt ungewöhnlich ruhig und getragen. Es folgt ein zweiter Satz, der durch seine groteske, fast zynische Energie hervorsticht – hier blitzt eine gewisse Bitterkeit auf, vielleicht sogar eine Art musikalischer Sarkasmus. Der dritte Satz ist geprägt von Wehmut und klanglicher Zurückhaltung. Der letzte Satz schließlich – sehr langsam, sehr leise – bildet das emotionale Zentrum und das vielleicht persönlichste Statement Arnolds. Er endet in völliger Stille.

Arnolds 9. Sinfonie ist nicht nur musikalisch, sondern auch biografisch von großer Bedeutung. Der Komponist hatte über Jahre hinweg mit schweren psychischen Erkrankungen zu kämpfen, war zeitweise in psychiatrischer Behandlung und zog sich weitgehend aus dem öffentlichen Musikleben zurück. Diese Erfahrungen spiegeln sich deutlich in der Tonsprache der Sinfonie wider. Sie scheint weniger für ein Publikum als vielmehr für ihn selbst geschrieben worden zu sein – als eine Art klanglicher Selbstbefragung, vielleicht sogar als Abschied vom Leben.

Lange Zeit wurde die 9. Sinfonie kaum aufgeführt oder beachtet, was auch mit Arnolds Isolation zu tun hatte. Erst später erkannte man die Bedeutung dieses späten Werkes, das heute als tiefgründige, bewegende Spätkomposition geschätzt wird – vergleichbar in ihrer existenziellen Dichte mit anderen berühmten neunten Sinfonien, etwa von Mahler oder Bruckner, wenn auch in einer sehr viel persönlicheren und reduzierteren Tonsprache.

Wer sich auf dieses Werk einlässt, wird mit einer intensiven, nachdenklichen Hörerfahrung belohnt – fernab von musikalischem Pathos, aber voller innerer Wahrheit.

Diese Aufnahme entstand unter der Aufsicht von Malcolm Arnold selbst, der bei den Proben anwesend war – was ihr eine gewisse historische Autorität verleiht. Andrew Penny geht mit großer Zurückhaltung und Würde an das Werk heran. Er vermeidet Effekthascherei und lässt die Musik für sich sprechen, was der introvertierten, ernsten Atmosphäre der 9. Sinfonie sehr zugutekommt. Die Klangqualität ist solide, wenn auch nicht spektakulär – typisch für viele Naxos-Aufnahmen dieser Ära. Wer einen moderneren, klanglich attraktiveren Zugang möchte, ist mit Gamba auf Chandos sicher besser beraten.

Viele Grüße
Frank
WolfgangZ
Inventar
#31585 erstellt: 21. Mrz 2025, 12:25
Den folgenden Text habe ich weitgehend identisch 2015 an anderem Ort verfasst. Frank hat sich viel Mühe gemacht, ich damals auch ein wenig. Doch schließlich passt es hier - Doppelungen erhöhen den Lerneffekt - kleiner Scherz. Die Beiträge könnten auch gerne irgendwo anders hin verschoben oder kopiert werden.

Die folgenden Ausführungen orientieren sich zu einem größeren Teil am Booklet-Text der Naxos-Einspielung und an einem Interview zwischen Andrew Penny und dem Komponisten.

Malcolm Arnolds 9. Sinfonie, op. 128, wurde am 5. September 1988 in Norfolk vollendet. Die Aufnahme mit dem National Symphony Orchestra of Ireland datiert aus dem Jahr 1995. Eindrucksvoll! Man muss in der Tat wissen, dass es das Werk eines nahezu verzweifelten Mannes ist, der 1988 noch rund 18 Jahre zu leben hat, aber laut eigener Aussage in den bald zehn Jahren vor Abschluss der Komposition "durch die Hölle gegangen" ist. Man findet auf die Schnelle im Internet nur relativ vage Angaben zu Arnolds psychischer und physischer Gesundheit im reifen Mannesalter. Ich gehe aber davon aus, dass der Komponist, welcher bereits in jungen Jahren schizophrene Schübe hatte und später auch Alkoholprobleme und der sich dadurch bedingt auch in psychiatrischen Anstalten aufhalten musste und später pflegebedürftig war, wohl unter schweren Depressionen litt. Es ist bemerkenswert, dass Arnolds Zustand sich vermutlich im höheren Alter für einen längeren Zeitraum wieder deutlich gebessert hat, allerdings hat er nur noch selten komponiert.

Die Komposition war vom BBC bestellt worden, konnte aber nicht, wie geplant, zum Europäischen Musikjahr 1985 fertiggestellt werden, worauf dem Komponisten die Förderung durch den Rundfunk gestrichen wurde. Sir Charles Groves, langjähriger Freund Arnolds, der sich stets für ihn eingesetzt hatte, führte das Werk schließlich im Januar 1992 in Manchester auf.

Auf der CD befindet sich im Anschluss an die Studioproduktion der Sinfonie ein zehnminütiges Interview, das Andrew Penny offensichtlich etwa ein Jahr später mit dem mittlerweile 75jährigen Komponisten geführt hat. Arnold wirkt sehr einsilbig, das Sprechen scheint ihm schwerzufallen, aber immerhin reagiert er doch eher amüsiert auf die quasi rhetorische Frage Pennys, ob Arnold, der 1991 zu den Feierlichkeiten seines siebzigsten Geburtstages geäußert hatte, er wundere sich, dass er noch lebe, fünf Jahre später genauso denke.

Arnold ist sich der besonderen Rolle einer neunten Sinfonie bewusst. Auch er hofft, eine wesentliche musikalische Aussage angesichts der beinahe mythischen Funktion der Neun-Zahl seit Beethoven treffen zu können. Arnold gesteht auch gerne ein, im weit mehr als zwanzig Minuten umfassenden Finalsatz, der damit etwa genauso lang dauert wie die drei vorangehenden Sätze zusammen, im Geist von Mahlers Neunter einen pathetischen Abgesang von tiefer Trauer und Resignation verfasst zu haben. Die Thematik aller Sätze ist durchaus plastisch und im dritten, einem Giubiloso findet sich auch finstere Verspielheit, Sarkasmus. Was man hört in dieser Sinfonie, erinnert nicht wenig an Dmitri Schostakowitschs analogen Abgesang, seine 15. Sinfonie, die Arnold kennengelernt hatte - neben Mahler wohl die wichtigste Quelle. Auch wenn es nicht schwer ist, den Stil des Meisters an der Melodik und Orchestration immer wieder zu erkennen, so fehlt doch jegliche gelassene oder schmissige Fröhlichkeit, es fehlen fast gänzlich die aparten Bläser- und Schlagwerkeffekte - abgesehen von bedrohlichen Paukenwirkungen. Ganz am Ende des großen Finalsatzes schließt die Moll-Sinfonie leise in versöhnlichem D-Dur. (Und abgesehen davon, dass man beider Stile nicht wirklich vergleichen kann, fühle ich mich auf merkwürdige Weise auch an Allan Petterssons Schicksal und seine musikalische Welt erinnert.)

Mein früheres Urteil einer gewissen "Sprödigkeit" möchte ich nicht mehr aufrechterhalten. Es hat wohl nicht viel Sinn, Arnolds sinfonischen Schwanengesang mit den meisten Kompositionen aus glücklicheren Tagen zu vergleichen - wobei auch die sechste bis achte Sinfonie sich keineswegs nur positiv auf das Gemüt des Hörers niederschlagen -, ich denke aber heute, dass man die Genialität dieser Musik darin sehen muss, dass sie wirklich bis ins Innerste zu berühren vermag, dass sie keineswegs langweilen muss, dass man bei angemessener Bereitschaft nichts vermisst, was die Tonsprache des jüngeren Komponisten so unverwechselbar erscheinen lässt.

PS: Mal wieder hören? Dank an Frank!

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 21. Mrz 2025, 12:29 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31586 erstellt: 21. Mrz 2025, 13:58
Danke dir, Wolfgang!
FabianJ
Inventar
#31587 erstellt: 23. Mrz 2025, 00:18
Dank an Frank und Wolfgang für die beiden interessanten Beiträge zu Arnolds 9. Sinfonie!

So viel kann ich zum gerade Gehörten nicht beitragen.

Gerade gehört:
jpc.de
Michael Tippett (1905-1998)
Suite aus der Oper „New Year"
Saxophon: Timothy Holmes, Kyle Horch, Melanie Bush - E-Gitarren: Steven Smith, Alan Taylor - Schlagzeug: Robert Millett - Bournemouth Symphony Orchestra (Konzertmeister: Brendan O'Brien) - Dirigent: Richard Hickox
Aufnahme (Sinfonie Nr. 2, New Year-Suite): 9. - 10. März 1994, Winter Gardens Pavilion, Bournemouth (England)

Interessante Musik mit einem eigenwilligen Klang. Diese Musik kann nicht verleugnen, dass sie in den 80ern komponiert wurde, andererseits klingt sie auch der Science-Fiction-Handlung der Oper durchaus angemessen. Leicht skurril, aber sehr kurzweilig.

Das Einzige, was ich bemängeln möchte, ist, dass für die einzelnen Stücke kein Ende oder eine Überleitung zum nächsten Stück komponiert wurde. Beim Wechsel von einem Stück zu anderen wird man also von einer Sekunde zur anderen direkt mit komplett anderer Musik konfrontiert. Im Konzert würde das sicher besser funktionieren, aber auf CD ist das etwas gewöhnungsbedürftig.

Das werde ich mir sicher bei Gelegenheit wieder anhören.

Mit freundlichen Grüßen
Fabian
WolfgangZ
Inventar
#31588 erstellt: 23. Mrz 2025, 00:31
Das ist ein sehr originelles Werk - wie ich überhaupt der Ansicht bin, dass Michael Tippett unterschätzt wird, vor allem seine Vielseitigkeit über die Jahrzehnte, selbst wenn dadurch ein Personalstil meines Erachtens verschwimmt.

Fabian hat den Charakter der Suite überzeugend umrissen. An den Übergängen habe ich mich eigentlich nicht gestört, auch weil ich die einzelnen Sätze - ich verstehe sie nicht als Einzelstücke - so unterschiedlich gar nicht finde. Aber wahrscheinlich ist das eher ein Geschmacksphänomen.

Der eigenwillige Tonfall hat gewiss auch mit dem Einbezug der elektrischen Instrumenten aus der Rockmusik zu tun. Auch die Saxophone sind nicht ganz so gebräuchlich in einer Orchestersuite.

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 23. Mrz 2025, 00:32 bearbeitet]
FabianJ
Inventar
#31589 erstellt: 23. Mrz 2025, 23:22
Also auf Tonträger sieht es für Tippett gar nicht schlecht aus. Auch in den letzten Jahren kam da immer mal wieder etwas Neues raus, z. B. gerade kürzlich ein Album mit der zweiten Sinfonie und dem Klavierkonzert und in Kürze erscheint eine Einspielung der kompletten Oper „New Year". Klar könnte es mehr sein, aber ich bin erstmal zufrieden mit dem was es gibt.

Ähnlich ergeht es ja vielen Komponisten „der zweiten Reihe", etwa von Karl Amadeus Hartmann könnte es durchaus mehr geben. (Die Anführungszeichen sind da bewusst gesetzt, denn bei Michael Tippett bin ich mir nicht sicher, ob der wirklich in Reihe 2 gehört. Zumindest vom Bekanntheitsgrad aber schon.)

Gerade angehört:
jpc.de
Heinz Winbeck (1946-2019)
Sinfonie Nr. 1 „Tu Solus" (1983, rev. 1985)
Bruce Weinberger (Tenorsaxophon) - Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - Dirigent: Muhai Tang
Live-Aufnahme: April 1985, Herkulessaal der Residenz, München (Konzertreihe musica viva)

Hat mir sehr gut gefallen. Modern, aber nicht avantgardistisch. Gerade für Freunde von Schlagwerk werden hieran ihre Freude haben. Das Saxophon erklingt erst im letzten Satz.

Schade, dass diese Gesamtaufnahme nicht mehr erhältlich zu sein scheint. Zumindest diese Sinfonie gibt es aber noch in einer anderen Einspielung (die ich nicht kenne) auf CD.

Dies ist auch so ein Werk, dass ich gerne mal im Konzert erleben würde. Diese Gelegenheit dürfte sich allerdings nur selten ergeben.

Warum lässt man diese Aufnahmen einfach vom Markt verschwinden? Klar, es werden sicher keine Unmengen davon verkauft, aber man ist immerhin "the only show in town".

Mit freundlichem Gruß
Fabian


[Beitrag von FabianJ am 23. Mrz 2025, 23:28 bearbeitet]
WolfgangZ
Inventar
#31590 erstellt: 24. Mrz 2025, 02:33
Von Heinz Winbecks erster Sinfonie besitze ich - und besaß ich schon viel länger - eine Alternativ-Aufnahme (1), die sich übrigens im Text ziemlich deutlich unterscheidet, so dass man wohl von zwei Versionen sprechen kann.

amazon.de

Soweit mir vertraut - die dritte und die vierte Sinfonie kenne ich kaum, was ich ändern sollte -, sind auch die anderen Sinfonien von Heinz Winbeck sehr zu empfehlen. Zumeist handelt es sich um einen gemäßigten Neo-Expressionismus, geschrieben von einem leidenschaftlichen Individualisten, dem es kaum - meine ich - um stilistische Radikalität ging, aber um eine humane Botschaft.

Die fünfte wiederum stellt eine eigenwillige Bruckner-Reminiszenz dar.

-----

Was die Tonträger im Fall von Tippett anbelangt, hast Du sicher Recht. Das Klavierkonzert, ein ganz raffiniert stimmungsvolles Werk, kenne ich von mindestens drei Aufnahmen.

Aber ich hatte zumindest in einem anderen Forum den Eindruck, dass manche angeblich der Moderne gegenüber aufgeschlossenen Hörer mit Tippett nichts anfangen können. Verstehen konnte und kann ich das nicht.

(1) Fabian hat das ja oben schon gesagt.

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 24. Mrz 2025, 02:36 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31591 erstellt: 24. Mrz 2025, 12:35
Die Winbeck-Sinfonien habe ich auch schonmal (mit Freude!) gehört. Sollte ich wohl wiederholen.
Hüb'
Moderator
#31592 erstellt: 25. Mrz 2025, 13:29
jpc.de
Heinz Winbeck (1946-2019)
Symphonien Nr. 2

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dennis Russell Davies
TYXart, 1985-2017, live

Heinz Winbecks Sinfonie Nr. 2 ist ein kraftvolles und expressives Werk, das in den frühen 1980er-Jahren entstand und Winbecks Ruf als bedeutender deutscher Sinfoniker der Gegenwart festigte. Die Sinfonie ist Teil seines umfassenden sinfonischen Schaffens, das stark von existenziellen Themen, düsteren Klanglandschaften und einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft geprägt ist. Winbeck, ein Schüler von Günter Bialas, entwickelte eine sehr persönliche Tonsprache, die sich nicht den modischen Strömungen der Neuen Musik unterordnete, sondern auf eine expressive, teils spätromantisch grundierte, oft dunkle Klangwelt setzte.

Die Zweite Sinfonie, oft unter dem Titel "Die Schmerzen der Beute" geführt, ist ein eindringliches Werk voller existenzieller Dramatik. Sie reflektiert Themen wie Leid, Tod und Vergänglichkeit, was sich sowohl in der Struktur als auch in der klanglichen Anlage zeigt. Die Musik ist spannungsgeladen, von dramatischen Kontrasten und einer dichten, teilweise dissonanten Orchestrierung geprägt. Gleichzeitig erlaubt sich Winbeck auch Momente der Stille und der inneren Einkehr, die die Wirkung der eruptiven Passagen umso stärker hervorheben.

Typisch für Winbecks Sinfonik ist eine gewisse Langsamkeit in der Entwicklung des Materials – nicht im Sinne von Trägheit, sondern als ein bewusstes Auskosten und Durchleben der musikalischen Gedanken. Auch in der Zweiten Sinfonie entfaltet sich die Musik in großen, architektonisch durchdachten Spannungsbögen, die den Hörer in eine Art seelischen Ausnahmezustand versetzen können.

Das Werk zeigt deutlich Winbecks Hang zur großen Form und seinen Willen, über die Musik existenzielle Erfahrungen auszudrücken. In diesem Sinne steht die Zweite Sinfonie in der Tradition von Mahler oder Schostakowitsch, ohne sie stilistisch zu kopieren. Vielmehr spricht sie eine eigene, kraftvoll moderne, doch emotional nachvollziehbare Sprache, die Winbecks Individualität als Komponist unterstreicht.

Winbecks Sinfonie Nr. 2 ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Rückbesinnung auf die expressive Kraft der Sinfonik in einer Zeit, in der viele Komponisten sich von dieser Gattung abwandten. Sie bleibt ein bedeutender Beitrag zur deutschen Musikgeschichte des späten 20. Jahrhunderts und ein sehr spannendes Hörerlebnis.

Interpretatorisch kann ich wenig zu dieser Live-Aufnahme, die damals eine Weltersteinspielung war, sagen. Aus dem Bauch heraus ist da noch etwas Luft nach oben, was ebenfalls für die Klangqualität gilt. Letztere ist sehr guter, zeitgemäßer Durchschnitt, ohne audiophilen Anspruch.

Viele Grüße
Frank
arnaoutchot
Moderator
#31593 erstellt: 25. Mrz 2025, 14:50

Hüb' (Beitrag #31584) schrieb:
Malcolm Arnold (1921-2006) - Symphonie Nr. 9 ... Wer einen moderneren, klanglich attraktiveren Zugang möchte, ist mit Gamba auf Chandos sicher besser beraten.


Ich höre gerade angeregt von Euren Beiträgen oben in Arnolds 9. hinein, die Aufnahme von Rumon Gamba mit der BBC Philharmonic. Nun, das ist schon sehr reduziert und besonders im 4. Satz sehr leise. Aber hat etwas. Danke für den Tipp. Ich kannte Arnold bislang nur als Dirigenten seiner 6. Symphonie im Zusammenhang mit dem Concerto for Group and Orchestra von Deep Purple ...

Von Heinz Winbeck habe ich noch nie gehört ... mea culpa.

jpc.de
WolfgangZ
Inventar
#31594 erstellt: 25. Mrz 2025, 16:22

arnaoutchot (Beitrag #31593) schrieb:

Von Heinz Winbeck habe ich noch nie gehört ... mea culpa.


Vermutlich war ich älter als Du jetzt, als ich zum ersten Mal von ihm gehört habe.

Wolfgang
boccherini
Stammgast
#31595 erstellt: 25. Mrz 2025, 17:18
Sorry, aber die letzten Beispiele sind mir zu avantgardistisch: bei mir läuft Dvorak mit Kertesz, hab endlich mal Zeit und Lust auf die frühen Sinfonien, da ist er für mich der Maßstab und tontechnisch up to Date. Und dann die Hayden- Sinfonien mit Dorati, auch meine Lieblingseinspielungen, auf Vinyl, Nr. 93 - 104. Und draußen scheint dazu die Sonne.
arnaoutchot
Moderator
#31596 erstellt: 25. Mrz 2025, 21:48

WolfgangZ (Beitrag #31594) schrieb:
Vermutlich war ich älter als Du jetzt, als ich zum ersten Mal von ihm gehört habe.


Gewagte Behauptung, da uns mW nur wenige Jahre trennen, aber Du magst recht haben


boccherini schrieb:
Sorry, aber die letzten Beispiele sind mir zu avantgardistisch


Malcolm Arnold ist mE so ziemlich alles, aber nicht avantgardistisch ...
WolfgangZ
Inventar
#31597 erstellt: 25. Mrz 2025, 22:21
Wenn Malcolm Arnold Avantgardist war, dann ist Mozart Zwölftöner.

Oder geht es um Heinz Winbeck? Aber der war ebenso keiner, wenn auch auf seine Art ein Modernist.

Dvorak mit Kertesz wäre hingegen eine gute Anregung für nachher - die frühen Sinfonien dürfen auch gerne mal wieder sein.

Wolfgang
Hörstoff
Inventar
#31598 erstellt: 25. Mrz 2025, 22:48

mSpatial™ is an innovative process developed by msm-studios that transforms old stereo recordings into an immersive (e.g. Dolby Atmos or Sony 360) listening experience.
mSpatial™ brings historical recordings immersively to life and gives classics a new sound experience at the cutting edge of technology.
The process virtualises the original acoustics of the recording location and is based on algorithms that process impulse and frequency response measurements of the original recording location.


Hmmm, nun ja. Wenn dies stimmt, ist das Nationaltheater München nicht der Ort, wo ich einmal gewesen und einem Konzert gelauscht haben muss. Ein ziemlich dünner Sound. Eine Aufnahme aus 1982, die vermutlich mehr Zauber bei Vinylenthusiasten auslöst denn bei mir, der ich mein Surround-Equipment in Szene gesetzt haben will.

Die Interpretation verursacht auch keine Begeisterungssprünge. In anderen Einspielungen war Kleiber mit seinem Orchester Weltklasse, hier ist das weitgehend nicht der Fall. Schnell und differenziert aber ist die Einspielung: das Presto mutet zwischenzeitlich wie eine Solti-Aufführung an, da blitzt schon etwas auf.

jpc.de


[Beitrag von Hörstoff am 25. Mrz 2025, 22:49 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31599 erstellt: 26. Mrz 2025, 10:28

WolfgangZ (Beitrag #31597) schrieb:
Wenn Malcolm Arnold Avantgardist war, dann ist Mozart Zwölftöner.

Oder geht es um Heinz Winbeck? Aber der war ebenso keiner, wenn auch auf seine Art ein Modernist.

Ich kann mich auf beide gut einlassen und es ist und bleibt natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Für mich jedenfalls eine deutlich spannendere Erfahrung, als zum x-ten Mal eine späte Dvorak-Sinfonie unter Kertesz.

Bei mir nun (danke für die Anregung oben! ):

jpc.de
Michael Tippett (1905-1998)
Symphonien Nr.1 & 2

BBC Scottish Symphony Orchestra, Martyn Brabbins
Hyperion, 2017

Michael Tippetts erste beiden Sinfonien, komponiert 1945 und 1957, markieren zwei sehr unterschiedliche Phasen seines künstlerischen Schaffens und zeigen eindrucksvoll seinen Wandel vom spätromantisch geprägten Tonschöpfer hin zu einem komplexeren, moderneren musikalischen Ausdruck.

Die Sinfonie Nr. 1 in B-Dur, uraufgeführt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, ist ein Werk voller Optimismus und Energie. Sie steht noch deutlich in der Tradition der klassischen und romantischen Sinfonik, wobei besonders Einflüsse von Beethoven, Sibelius und Vaughan Williams hörbar sind. Tippett greift in dieser Sinfonie auf eine klare, viersätzige Form zurück und schreibt Musik, die rhythmisch lebendig, melodisch reich und insgesamt sehr zugänglich ist. Charakteristisch ist der kontrapunktische Reichtum, der besonders im Finalsatz hervorsticht, der mit einem ausgelassenen Doppelfugato endet. Der erste Satz ist dynamisch und rhythmisch geprägt, der zweite lyrisch und elegisch, während das Scherzo mit einer tänzerischen Leichtigkeit daherkommt. Insgesamt ist diese Sinfonie ein kraftvolles Statement, das eine lebensbejahende Haltung zum Ausdruck bringt.

Im Gegensatz dazu wirkt die Sinfonie Nr. 2, gut ein Jahrzehnt später entstanden, deutlich moderner, kantiger und experimenteller. Tippett hatte sich in der Zwischenzeit stark mit neuen kompositorischen Techniken auseinandergesetzt – insbesondere mit der Musik Strawinskys und der Zweiten Wiener Schule – und das hört man. Die zweite Sinfonie ist formal unkonventioneller, harmonisch dichter und rhythmisch vertrackter. Der erste Satz beginnt mit einer markanten, nervösen Geste und entwickelt sich zu einem musikalisch dichter gewobenen Geflecht, das weniger von klassischen Themenentwicklungen als vielmehr von motivischer Transformation lebt. Der langsame Satz ist düsterer, komplexer und emotional ambivalenter als in der ersten Sinfonie. Auch das Scherzo ist nicht mehr verspielt, sondern wirkt motorisch, fast aggressiv, mit schroffen Kontrasten. Das Finale schließlich zeigt Tippett als formal innovativen Komponisten, der sich nicht scheut, Konventionen aufzubrechen.

In meinen Ohren sehr gut gespielt und aufgenommen, vielleicht mit Tendenz zur Nüchternheit interpretiert. Als Alternativen könnte man Hickox, Colin Davis, Gardner oder den Komponisten selbst befragen (die letzten Beiden nur mit Sinfonie Nr. 2).

Viele Grüße
Frank
Hüb'
Moderator
#31600 erstellt: 26. Mrz 2025, 12:43
jpc.de
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Klavierkonzerte Nr. 15 & 16 (KV 450 & 451)

Mitsuko Uchida, English Chamber Orchestra, Jeffrey Tate
Philips, 1991

Die Klavierkonzerte Nr. 15 in B-Dur (KV 450) und Nr. 16 in D-Dur (KV 451) von Wolfgang Amadeus Mozart entstanden beide im März 1784 innerhalb weniger Tage und gehören zu einer besonders produktiven Phase in Mozarts Wiener Jahren. In einem Brief an seinen Vater beschrieb Mozart diese Werke als besonders anspruchsvoll – insbesondere das B-Dur-Konzert (KV 450), dem er größere technische Schwierigkeit zuschrieb als dem D-Dur-Konzert (KV 451).

Musikalisch unterscheiden sich die beiden Konzerte in Charakter und Anlage. KV 450 in B-Dur zeigt eine eher galante Grundhaltung und überzeugt durch elegante Linien und klangliche Klarheit. Im Gegensatz dazu steht das D-Dur-Konzert KV 451, das von Beginn an mit seinem festlichen Trompeten- und Paukeneinsatz sowie der dichten Orchestrierung auffällt. Es gilt als deutlich "symphonischer" und zeigt eine stärkere Integration des Klaviers in das sinfonische Geschehen, besonders im ersten Satz. Diese Entwicklung markiert einen weiteren Schritt in Mozarts Umgang mit dem Konzertgenre, indem das Klavier nicht nur solistisch, sondern als gleichwertiger Partner des Orchesters auftritt.

Die Aufnahme wurde vielfach positiv besprochen – gelobt wurden unter anderem die hohe Klangqualität, die stilistische Souveränität sowie das ausgewogene Zusammenspiel zwischen Solistin und Orchester. Uchidas virtuoses, dabei stets feinfühliges Spiel und Tates klare, dabei flexible Orchesterleitung ergeben eine Interpretation, die sowohl musikalisch tiefgründig als auch technisch auf höchstem Niveau ist.
Besonders zu erwähnen ist die Transparenz des Klangs: Das Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester ist klar und ausgewogen abgebildet, sodass feine Details sowohl im Solopart als auch in den Orchesterstimmen gut hörbar bleiben. Die Instrumente wirken natürlich platziert, ohne künstliche Hallräume oder Überbetonungen, was der Aufnahme große klangliche Authentizität verleiht.

Das English Chamber Orchestra klingt schlank, aber lebendig, mit feinen Holzbläserfarben und gut durchhörbaren Streichergruppen. Uchidas Klavier ist präsent, ohne sich in den Vordergrund zu drängen – es fügt sich organisch in den Gesamtklang ein. Klangbalance und Dynamik sind sorgfältig gestaltet, was nicht zuletzt der sensiblen Abstimmung zwischen Uchida und Tate zu verdanken ist.

Insgesamt vermittelt die Einspielung ein sehr natürliches, beinahe kammermusikalisches Klangbild, das der Intimität und Eleganz dieser beiden Konzerte voll gerecht wird und ist eine sehr gute Wahl, wenn man Transparenz und Durchhörbarkeit sucht, aber keine HIP-Einspielung möchte.

Viele Grüße
Frank
WolfgangZ
Inventar
#31601 erstellt: 26. Mrz 2025, 14:48
Die erste Sinfonie, die Frank genauso differenziert charakterisiert hat wie die zweite, habe ich zwar nicht im Ohr, aber als allenthalben interessant in Erinnerung.

Die zweite hingegen hat für mich zum Teil beinahe Ohrwurm-Potenzial - das gilt vor allem für das erste Thema - das vielleicht gar kein richtiges Thema ist, aber das würde nichts ändern, denn was bei mir hängenbleibt, ist nicht primär eine Melodie, sondern die von Dir als "markant nervös" bezeichnete Gestik. Und da guckt der mittlere Strawinski auch nicht nur mal kurz um die Ecke.

Die Aufnahme kenne ich nicht, stattdessen die folgende Box:

amazon.de

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 26. Mrz 2025, 14:51 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31602 erstellt: 26. Mrz 2025, 15:18

WolfgangZ (Beitrag #31601) schrieb:
Die zweite hingegen hat für mich zum Teil beinahe Ohrwurm-Potenzial - das gilt vor allem für das erste Thema - das vielleicht gar kein richtiges Thema ist, aber das würde nichts ändern, denn was bei mir hängenbleibt, ist nicht primär eine Melodie, sondern die von Dir als "markant nervös" bezeichnete Gestik. Und da guckt der mittlere Strawinski auch nicht nur mal kurz um die Ecke.

Hallo Wolfgang,

ja, absolut. Auch wenn die Erste deutlich eingängiger ist (böse formuliert: vielleicht sogar reichlich "retro" ), ist auch die Zweite immer noch sehr "süffig" und zumindest für an der Moderne geschulte Ohren sehr, sehr gut hörbar. Zudem interessant, lohnend, eigenständig - alles Dinge, die keinesfalls bei allen weniger bekannten Werken selbstverständlich gegeben sind. Wirklich gute, erschließenswerte Musik!

Viele Grüße
Frank
Hüb'
Moderator
#31603 erstellt: 26. Mrz 2025, 18:37
jpc.de
Ernst von Dohnanyi (1877-1960)
Serenade f. Streichtrio op.10
Arnold Schönberg (1874-1951)
Streichtrio op. 45
Bohuslav Martinu (1890-1959)
Streichtrio Nr. 2

Leopold String Trio
Hyperion, 2004

Drei Streichtrios, drei Komponisten, drei völlig unterschiedliche musikalische Welten – und doch passen sie erstaunlich gut zusammen, wenn man sie nebeneinanderstellt: Ernst von Dohnányis Serenade op. 10, Arnold Schönbergs Streichtrio op. 45 und Bohuslav Martinůs Streichtrio Nr. 2 erzählen nicht nur musikalisch, sondern auch historisch eine kleine Geschichte des 20. Jahrhunderts – von der spätromantischen Wärme über die expressionistische Zerrissenheit bis hin zur rhythmisch klar konturierten Moderne.

Dohnányis Serenade, 1902 komponiert, steht noch ganz auf der sonnenbeschienenen Veranda der Spätromantik. Brahms grüßt freundlich aus dem Hintergrund, die Form ist klassisch, die Melodien großzügig ausgeschenkt, und das Ganze atmet eine gepflegte Noblesse – Kammermusik als kultiviertes Zwiegespräch, nicht als existenzieller Monolog. Fünf Sätze, die elegant zwischen Tanz, Lied und Variation pendeln – ein Werk, das sich im besten Sinne nicht aufdrängt, sondern durch kluge Stimmführung und subtile Farben überzeugt.

Und dann – Schnitt. Schönberg. 1946, Kalifornien, Nachkriegszeit. Der Ton ist nun ein ganz anderer: Das Streichtrio op. 45 ist kein Werk zum Zurücklehnen, sondern eher eines zum Festhalten. Schönberg, gesundheitlich schwer angeschlagen, komponiert nach einem beinahe tödlichen Zusammenbruch ein einsätziges Werk, das sich wie ein fiebriger Traum entfaltet – voller dramatischer Wendungen, eruptiver Ausbrüche und fragiler Momente. Die Zwölftonmusik ist hier kein theoretisches Konstrukt, sondern ein Vehikel für hochpersönlichen Ausdruck. Alles ist durchorganisiert und doch emotional entgrenzt – man könnte sagen: Kammermusik als Seelenspiegel.

Wem das zu nervenaufreibend ist, dem sei Bohuslav Martinů empfohlen. Sein Streichtrio Nr. 2, entstanden 1950, ebenfalls im amerikanischen Exil, bewegt sich mit angenehmer Selbstverständlichkeit zwischen struktureller Klarheit und rhythmischer Raffinesse. Bei Martinů marschiert der Neoklassizismus nicht im Stechschritt, sondern tanzt leichtfüßig durchs Gehör. Drei Sätze – schnell, langsam, schnell – in klassischer Ordnung, aber mit einem ganz eigenen Drive: melodisch einprägsam, harmonisch gewitzt, manchmal ein wenig kantig, aber nie sperrig. Man hört die tschechische Volksmusik durchschimmern, ebenso wie die französische Eleganz seiner Pariser Jahre.

So verschieden die Werke also auch klingen – sie verbindet der Anspruch, mit nur drei Streichinstrumenten ein ganzes Universum an Ausdruck zu schaffen. Dohnányi baut auf Tradition und Ausgewogenheit, Schönberg riskiert den Sprung ins expressive Ungewisse, Martinů balanciert lässig zwischen Struktur und Inspiration. Gemeinsam ist ihnen außerdem eine gewisse Lust am Experiment – sei es formaler, klanglicher oder emotionaler Art. Und so stehen am Ende mehr als nur drei stilistisch unterschiedliche Kompositionen: Er ist ein musikalisches Triptychon der Moderne – ernsthaft, spannend und mit einem feinen Schimmer Ironie, wenn man genau hinhört. Ich kann mich kaum entscheiden, welches der Werke mir am besten gefällt (muss ich ja auch zum Glück nicht).

Die Deutung scheint mir perfekt und die Rezensionen der Scheibe lassen nicht vermuten, dass man sie wirklich "besser" spielen kann. Eine großartige Produktion, die angenehm warm und natürlich klingt.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 26. Mrz 2025, 18:37 bearbeitet]
WolfgangZ
Inventar
#31604 erstellt: 26. Mrz 2025, 20:05
Hallo, Frank, und wen's interessiert!

Das Streichtrio von Dohnanyi - fast zwangsläufig also die CD - kenne ich nicht.

Das Schönberg-Trio muss ich mir endlich mal konzentriert anhören, nicht nur auf die Schnelle. Ich könnte auswendig gar nicht sagen, wen ich da als Interpreten finde im Regal. Aber ich finde jemanden!

Martinu gehört indes zu meinen vielgespielten Lieblingen. Und neben einem zweiten Streichtrio gibt es so gut wie stets auch ein erstes. Die folgende Aufnahme hat hier quasi Pionierarbeit geleistet - in der anklickbaren Produktbeschreibung stehen ein paar Sätze zu dem einst verloren geglaubten Werk. Da aus den Zwanzigern, ist dieses Opus etwas sperriger, aber ich habe es mehrmals zusammen mit den anderen Nummern auf der folgenden CD gerne gehört:

amazon.de

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 26. Mrz 2025, 20:07 bearbeitet]
Hörstoff
Inventar
#31605 erstellt: 26. Mrz 2025, 21:48
Hier auch Streichmusik - vom Hegel Quartet. Wer entspannende, anregende Musik von Fritz Kreisler und Erich Korngold zwischen sehr leise (ja: auch Geigen können leise tönen) und überwiegend dynamisch-spritzig sucht, eine musikalische Reise von Wien nach Hollywood, wird hier fündig. Ein wunderbares Intermezzo, ein Stimmungsaufheller sondergleichen.

jpc.de
Review


[Beitrag von Hörstoff am 26. Mrz 2025, 21:48 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31606 erstellt: 27. Mrz 2025, 11:42

WolfgangZ (Beitrag #31604) schrieb:
Das Streichtrio von Dohnanyi - fast zwangsläufig also die CD - kenne ich nicht.

Das Schönberg-Trio muss ich mir endlich mal konzentriert anhören, nicht nur auf die Schnelle. Ich könnte auswendig gar nicht sagen, wen ich da als Interpreten finde im Regal. Aber ich finde jemanden!

Martinu gehört indes zu meinen vielgespielten Lieblingen. Und neben einem zweiten Streichtrio gibt es so gut wie stets auch ein erstes. Die folgende Aufnahme hat hier quasi Pionierarbeit geleistet - in der anklickbaren Produktbeschreibung stehen ein paar Sätze zu dem einst verloren geglaubten Werk. Da aus den Zwanzigern, ist dieses Opus etwas sperriger, aber ich habe es mehrmals zusammen mit den anderen Nummern auf der folgenden CD gerne gehört:

Hallo Wolfgang,

Dohnanyi mag ich sehr. Man muss natürlich Spätromantik mögen, um Gefallen an ihm zu finden. Für das Schönberg-Trio kann ich nur werben, es ist IMHO viel, viel zugänglicher, als "man" vielleicht meinen mag. Der Martinu verblasst in diesem Kontext beinahe ein wenig, da er irgendwie "zwischen den Welten" zu hängen scheint.

Viele Grüße
Frank
Hüb'
Moderator
#31607 erstellt: 27. Mrz 2025, 12:38
jpc.de
Louise Farrenc (1804-1875)
Klavierquintett Nr. 1 a-moll op.30
Melanie (Mel) Bonis (1858-1937)
Klavierquartett Nr. 1 B-Dur op. 48
Elena Firsova (geb. 1950)
Klavierquartett Nr. 1 op. 146 (2016)

Ensemble Louise Farrenc
CPO, 2021

Louise Farrenc kann man vielleicht als die "Grande Dame" des Pariser Musiklebens des 19. Jahrhunderts bezeichnen. Wenn Beethoven eine große Schwester gehabt hätte, die ordentlich Etikette mitbringt, hätte sie so geklungen. Farrenc war keine Salonlöwin, sondern eher die Art Frau, die mit Notenpapier unterm Arm durch den Louvre marschiert, während sie über Kontrapunkt nachdenkt. Sie war Pianistin von Rang, Professorin am Pariser Konservatorium (die einzige Frau in dieser Position zu ihrer Zeit – Applaus, bitte!) und schrieb Kammermusik, die locker mit den Herren der deutschen Romantik mithalten kann. Ihre Klavierquintette zum Beispiel: strukturell klar, melodisch durchdacht, elegant – Mendelssohn hätte sie eingeladen, Schumann wäre heimlich verliebt gewesen, und Brahms hätte gesagt: „Nicht schlecht für ’ne Französin.“
Unter den drei Komponistinnen dürfte es von den Werken Farrencs noch die meisten Aufnahmen geben - einige davon auf CPO.

Ganz anders: Elena Firsowa, die im März 1950 mitten im grauen Realismus der Sowjetunion zur Welt kam, mit Paul Celan unter dem Kopfkissen und Schostakowitsch im Genpool. Während Farrenc sich durch patriarchale Strukturen spielte, musste Firsowa mit der kommunistischen Kulturbürokratie ringen – was mindestens genauso unangenehm war. Sie war Teil der sogenannten „Underground-Komponisten“, die nicht marschierten, sondern lieber schwebten – durch Klangräume, durch Poesie, durch dissonante Freiheit. Ihr Stil? Lyrische Moderne mit Tiefgang. Als würde Webern heimlich Tagebuch schreiben – mit Tinte aus russischem Winterlicht. Ihr Klavierquartett ist keine Klangtapete fürs Abendessen, sondern eher eine Einladung zur kontemplativen Tiefseetaucherei. Kein Wunder, dass sie später nach Großbritannien emigrierte – dort kann man immerhin melancholisch sein, ohne gleich einen KGB-Bericht zu riskieren.

Und dann – elegant auf Samtpfoten – tritt Mélanie Bonis ins Bild. Französin wie Farrenc, aber eine ganze Generation später. Sie war eine der Komponistinnen, bei denen man sich fragt, wie viel grandiose Musik unter Küchendecken und in Kinderzimmern verschollen ist. Bonis komponierte unter dem geschlechtsneutralen Namen „Mel Bonis“, vermutlich damit ihre Noten in Verlagsstapeln nicht direkt neben dem Rezept für Boeuf Bourguignon landeten. Ihr Stil? Eine Mischung aus César Franck auf Spaziergang mit Debussy – romantisch, ja, aber mit feinem Duft nach Lavendel, Weihrauch und Jugendstil. Ihr erstes Streichquartett klingt, als hätte Art Nouveau Töne bekommen: melodisch üppig, harmonisch schillernd, ein bisschen geheimnisvoll. Kein Revoluzzergeist wie bei Firsowa, aber ein subtiles Aufbegehren durch Schönheit.

Was verbindet die drei? Nun, alle drei waren hochbegabte Frauen, die sich in einer (mal mehr, mal weniger) männerdominierten Musiklandschaft behaupten mussten – mit unterschiedlichsten Mitteln. Farrenc mit Disziplin und klassizistischem Schliff, Bonis mit Klangpoesie im Schatten der Salons, Firsowa mit intellektuellem Widerstand gegen den sowjetischen Zwangskollektivismus.

Und die Unterschiede? So groß wie zwischen Haydn und Ligeti. Farrenc denkt in klaren Formen, Bonis in farbigen Atmosphären, Firsowa in inneren Räumen. Die eine lehrt am Konservatorium, die andere schreibt heimlich zwischen zwei Kindern, die dritte wird von der Sowjetmacht schikaniert. Doch in einem Punkt ähneln sie sich: Sie haben Musik geschrieben, die es wert ist, gehört zu werden – unabhängig vom Geschlecht, aber tief geprägt von ihren Erfahrungen als Frauen. Und das macht ihre Werke nicht nur hörenswert, sondern auch hochspannend und, ist allemal interessanter als das 127. Konzert mit Beethoven-Trio und Brahms-Quintett.

Eine unbedingt lohnende CPO-Produktion.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 27. Mrz 2025, 12:47 bearbeitet]
boccherini
Stammgast
#31608 erstellt: 27. Mrz 2025, 17:36
Ich höre mir gerade die 5. Sinfonie von M. Arnold an: dann ist mir der12-Töner Mozart 100 mal lieber. Aber wie sagt man so schön: die Geschmäcker sind verschieden, beim Küssen und beim Lieben . .

Viel Spaß, was immer Ihr auch hört!
WolfgangZ
Inventar
#31609 erstellt: 27. Mrz 2025, 19:13

boccherini (Beitrag #31608) schrieb:
Ich höre mir gerade die 5. Sinfonie von M. Arnold an: dann ist mir der12-Töner Mozart 100 mal lieber.


Nicht einmal der spritzige dritte Satz gefällt Dir? Oder die big tune des zweiten, die dann ganz am Ende wieder aufgegriffen und ins Tragisch-Finstere umgebogen wird?

Du bist halt noch recht jung!

Aber wir können uns einigen. Mozart ist hundert Mal wichtiger! Wahrscheinlich auch Boccherini noch ein paar Mal.

Wolfgang
arnaoutchot
Moderator
#31610 erstellt: 27. Mrz 2025, 19:33
Hier gerade der zweite Teil der Espaces Électroacoustiques (2SACD MCh 2020, mehr zum Inhalt und Prozess klick the pic). Hier würde ich jetzt auch beginnen von Avantgarde zu reden. Die sehr langen Stücke von Luigi Nono und Kalle Stockhausen sind tatsächlich etwas anstrengend, der erste Teil war abwechslungsreicher. Aber dennoch ist es zumindest für mich äusserst interessant zu hören, welchen immensen Einfluss die Werke aus den 1950ern auch noch auf die heutige Elektronik-Szene haben.

jpc.de
Hüb'
Moderator
#31611 erstellt: 28. Mrz 2025, 09:55
Hallo Michael,

sorry, dass ich das nicht als Inspiration für eine Beschäftigung hernehme . Das liegt mir musikalisch einfach zu fern, als das ich da Bock drauf hätte.
Bei mir daher Gekratze auf Streichgeräten :

jpc.de
Joachim Raff (1822-1882)
Streichquartette Nr. 1 d-moll op. 77; Nr. 5 G-Dur op. 138

Mannheimer Streichquartett
CPO, 2020

​Joachim Raff, ein Komponist, der oft im Schatten seiner berühmteren Zeitgenossen stand, hat mit seinen Streichquartetten Nr. 1 und Nr. 5 wahre Schätze der Kammermusik hinterlassen. Das Mannheimer Streichquartett hat sich dieser Werke angenommen und sie mit Bravour zum Leben erweckt.​

Das erste Quartett in d-Moll, op. 77, beginnt düster und leidenschaftlich, als würde Raff uns in die Tiefen seiner Seele blicken lassen. Der zweite Satz, ein Scherzo, ist ein wahres Feuerwerk an Spielfreude und erinnert an Mendelssohns Sommernachtstraum. Das Mannheimer Streichquartett meistert diese Herausforderungen mit einer Mischung aus Präzision und Charme, die den Hörer unweigerlich in den Bann zieht.​

Das fünfte Quartett in G-Dur, op. 138, präsentiert sich hingegen von einer heiteren und melodischen Seite. Der erste Satz strahlt eine warme Euphorie aus, die direkt ins Herz geht. Besonders bemerkenswert ist der langsame Satz, in dem die erste Violine, gespielt von Daniel Bell, mit einer Sanglichkeit aufwartet, die zum Dahinschmelzen ist. Die Kritik schien sich recht einig: Diese Interpretation zeigt die Vielseitigkeit und den melodischen Einfallsreichtum Raffs in voller Pracht. ​

Das Mannheimer Streichquartett hat mit seiner Einspielung von Raffs Streichquartetten Nr. 1 und Nr. 5 nicht nur die Herzen der Kritiker erobert, sondern auch bewiesen, dass Raffs Musik alles andere als verstaubt ist. Ein Muss für alle, die auf der Suche nach musikalischen Entdeckungen sind und die mit Streichquartetten und Romantik was anfangen können.

Da wiederhole ich mich einmal mehr sehr gerne: Eine unbedingt lohnende CPO-Produktion.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 28. Mrz 2025, 10:01 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#31612 erstellt: 28. Mrz 2025, 10:13

Hüb' (Beitrag #31611) schrieb:
Hallo Michael, sorry, dass ich das nicht als Inspiration für eine Beschäftigung hernehme .


Kein Problem, das ist auch eher entlegenes Zeug Aber es interessiert mich im Moment mehr als die althergebrachten klassischen Werke oder gar Streichquartett-Gekratze. Wird sich auch wieder ändern, zwischendrin höre ich auch immer wieder Konventionelleres.

Sehr schön fand ich zB das Reed Connection Trio aus Polen (Ars Sonora 2018). Das Booklet sagt, es sei die erste CD des Holzbläser-Trios (Oboe, Klarinette, Fagott) nach zehn Jahren Bestehen. Das Material stammt von ausser Ibert mir eher unbekannten Komponisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist sehr gemässigt modern. Blitzsauber gespielt und mit vielen witzigen und überraschenden Wendungen ! 👍

Hüb'
Moderator
#31613 erstellt: 28. Mrz 2025, 11:23
jpc.de
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Symphonie Nr. 7

Bayerisches Staatsorchester, Carlos Kleiber
Orfeo, 1982

Carlos Kleibers Live-Aufnahme der 7. Sinfonie mit dem Bayerischen Staatsorchester ist schon ein faszinierendes Zeitdokument eines besonderen Dirigenten, das mit leidenschaftlicher Energie und beeindruckender Präzision glänzt. Besonders das Scherzo und das Finale entfalten eine mitreißende Kraft, wie man sie nicht häufig zu hören bekommt. Gleichzeitig wirkt der erste Satz auf mich etwas gehetzt und verliert dadurch an lyrischer Tiefe – ein Eindruck, den auch manche Kritiker teilen. Andererseits ist bereits der Kopfsatz ein wahres Kraftpaket, dessen Wucht man sich nur schwer entziehen kann...

Klanglich ist die Aufnahme nicht auf dem Niveau moderner Produktionen: leicht rau, mitunter scharf – was dem Live-Charakter geschuldet ist, aber auch die Hörfreude etwas trüben kann - da rettet natürlich auch der audiophile Tonträger nichts. Insgesamt jedoch bleibt es eine sehr packende Interpretation, bei der man die emotionale Intensität und den künstlerischen Anspruch deutlich spürt.

Es gibt bekanntlich nicht so wahnsinnig viele Tonträger unter Leitung von Kleiber Junior und diese Live-Aufnahme hat einiges aufzubieten, so dass man meiner Meinung nach über ihre Schwächen hinwegsehen kann (wozu auch die "dünne" Spielzeit der SACD zu rechnen ist). Wer's "glatter" möchte, nimmt halt die Wiener auf DG.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 28. Mrz 2025, 13:09 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#31614 erstellt: 28. Mrz 2025, 13:06
jpc.de
George Lloyd (1913-1998)
Symphonie Nr. 1

Albany Symphony Orchestra, George Lloyd
Lyrita,1988-1992

George Lloyd war ein britischer Komponist, geboren 1913 in St. Ives, Cornwall. Schon früh zeigte sich sein Talent, und er bekam eine recht klassische musikalische Ausbildung: erst Klavier bei seiner Mutter, später Komposition am Trinity College of Music in London. Zu seinen Lehrern gehörten u.a. William Lovelock und Frank Kitson, aber ein besonders prägender Einfluss war der Komponist und Dirigent Albert Coates – ein Mann mit Hang zum Dramatischen, was sich auch bei Lloyd nicht verleugnen lässt.

Seine Sinfonie Nr. 1, die den Beinamen "A Symphonic Mass" trägt, schrieb er mit gerade einmal 19 Jahren – also 1932/33. Und was für ein Einstand das war! Man spürt sofort, dass Lloyd ein Romantiker durch und durch war. Er ließ sich nicht von den modischen Trends seiner Zeit beeindrucken – also keine atonalen Experimente wie bei Schönberg oder die kühle Sachlichkeit eines Hindemith. Stattdessen denkt man bei ihm viel eher an Komponisten wie Elgar oder vielleicht sogar Rachmaninow. Lloyd liebte große, emotionale Gesten, satte Orchesterfarben und eine klare melodische Linie. Und genau das findet man in seiner Ersten.

Was diese Sinfonie besonders macht, ist die Verbindung von symphonischer Struktur mit einer fast schon spirituellen Intensität – daher auch der Untertitel. Sie hat was Feierliches, manchmal fast Liturgisches. Man könnte sich vorstellen, dass Vaughan Williams sie geschätzt hätte – nicht wegen der Musik an sich (die ist bei Lloyd romantischer, schwelgerischer), sondern wegen des Zugangs: tief empfunden, nicht intellektualisiert.

Die Sinfonie wurde 1933 in Penzance uraufgeführt – mit großem Erfolg übrigens – und später in London gespielt. Lloyd war da gerade mal Anfang 20, aber man merkte: Da ist jemand mit einem eigenen Ton. Leider kam der große Durchbruch nie so richtig, vor allem auch, weil Lloyds Karriere durch den Zweiten Weltkrieg brutal unterbrochen wurde. Er erlitt schwere psychische und physische Folgen nach einem traumatischen Kriegseinsatz. Aber: Er hat nie aufgehört zu komponieren.

Einen großen Einfluss hatte er auf jüngere Komponisten nicht direkt – auch weil seine Musik lange ein Außenseiterdasein fristete. Aber in jüngerer Zeit scheint es eine kleine Renaissance zu geben, gerade weil seine Werke so emotional zugänglich sind. Wer also auf der Suche nach einem spätromantischen Sound ist, der irgendwie britisch klingt, aber nicht Elgar oder Walton heißt, sollte sich George Lloyds Sinfonie Nr. 1 unbedingt mal anhören.

Die Aufnahme unter Leitung des Komponisten bürgt für Authentizität und scheint mir ganz gelungen, lebendig und klanglich ansprechend. Die 4-CD-Box wird gerade bei jpc nachgerade verschenkt.

Viele Grüße
Frank
Hüb'
Moderator
#31615 erstellt: 28. Mrz 2025, 13:33
jpc.de
Gustav Mahler (1860-1911)
Symphonie Nr. 4

Lucia Popp, London Philharmonic Orchestra, Klaus Tennstedt
EMI/ Warner, 1982

Wenn man zuvor George Lloyds 1. Symphonie gehört hat – dieses breite, spätromantische Klanggemälde voller Pathos, Dramatik und fast filmischer Wucht – dann ist im Anschluss Gustav Mahlers 4. natürlich "ein ganz anderer Schnack" (für mich durchaus auch qualitativ gemeint). Hier geht es nicht um Weltuntergang oder heroisches Ringen, sondern um das Staunen, das Verspielte, das Naive – freilich mit einem melancholischen Unterton, wie es Mahler eben eigen ist. Dennoch: Beide Werke verbindet ein unbedingter Glaube an das expressive Potenzial des Orchesters, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

Wer sich Mahler 4 in ihrer ganzen seltsam-lieblichen Schönheit zu Gemüte führen will, landet möglicherweise bei dieser Aufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra unter Klaus Tennstedt.

Tennstedt war nie ein Dirigent, der Mahler "vom Blatt" genommen hätte. Bei ihm ist das alles durchlebt, durchlitten, hoch emotional – aber nie pathetisch. Die 4. Symphonie liegt ihm spürbar am Herzen, und das merkt man dem Orchester an: Das LPO spielt mit einer Mischung aus Zartheit und expressiver Tiefe, besonders in den feinen Holzbläserpassagen und den bittersüßen Streichern des ersten Satzes. Wahrscheinlich noch mehr in seinen Live-Dokumenten, als im Studio.

Besondere Erwähnung verdient Lucia Popp im letzten Satz. Ihr Sopran – hell, klar, fast ätherisch – passt perfekt zu dieser kindlich-naiven Vision vom Himmel, die Mahler da vertont hat. Sie singt mit einer Leichtigkeit, die nicht von dieser Welt scheint, dabei aber nie kitschig oder aufgesetzt wirkt. Es ist dieses letzte Lied, das einen am Ende ganz still zurücklässt.

In der Kritik wurde diese Aufnahme bis heute hochgelobt. Die Gramophone sprach von einer „extraordinary performance“, besonders für Tennstedts Fähigkeit, Spannung über lange Bögen hinweg zu halten. Auch deutsche Feuilletons betonten die „poetische Intensität“ und „liebevolle Detailarbeit“ dieser Interpretation – kein Wunder, dass diese Aufnahme auch heute noch vielen Hörern sehr wichtig ist.

Wer Mahler 4 nicht nur hören, sondern wirklich erleben will, erhält hier eine sehr gute Chance dazu. Vermutlich nicht die glatteste Einspielung des Werks, aber eine der menschlichsten – und das ist bei Mahler vielleicht das Wichtigste.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 28. Mrz 2025, 13:34 bearbeitet]
boccherini
Stammgast
#31616 erstellt: 28. Mrz 2025, 14:45
Noch ein bisschen weiter zurück in der Musikgeschichte: Schubert, Große C-dur Sinfonie mit den Bamberger Symphonikern unter J.Nott, Tudor SACD.
Klanglich wie interpretatorisch eine wunderschöne Einspielung mit allen „himmlischen Längen“. Zum „Lächeln unter Tränen“ schön“.
WolfgangZ
Inventar
#31617 erstellt: 28. Mrz 2025, 14:46
@ Joachim Raff

Danke für Deine Mühen hier (auch zu den anderen Empfehlungen), Frank! Um die Sinfonien von Raff schleiche ich schon seit beinahe Jahrzehnten herum. Warum ich nur schleiche, weiß ich auch nicht. Freilich gibt es Stimmen, die der Musik das letzte Quäntchen Genialität absprechen. Und die werden auch Recht haben. Aber es steht genügend anderes im Schrank bei mir, wo es daran ganz genauso fehlt.

Jetzt wird die Sinfonie mit dem Wald von einem halbprofessionellen Ensemble in Nürnberg aufgeführt. Also schleiche ich wieder. Die spannende Frage ist - ich habe mich noch nicht aktuell orientiert -, ob es sich lohnt, nicht gleich alle zu kaufen.

Ich habe keinerlei Zweifel, dass sich auch die Streichquartette rentieren.

Wolfgang
WolfgangZ
Inventar
#31618 erstellt: 28. Mrz 2025, 14:48
@ boccherini

Absolute Zustimmung, was das Werk betrifft.

Ich wohne keine dreißig Kilometer Luftlinie entfernt, kenne aber die Bamberger mit dieser Sinfonie (noch) nicht.


[Beitrag von WolfgangZ am 28. Mrz 2025, 14:48 bearbeitet]
WolfgangZ
Inventar
#31619 erstellt: 28. Mrz 2025, 14:51
@ arnaoutchot und seinen Quartetten

Aber die kratzen doch nicht, die STREICHEN.
Hüb'
Moderator
#31620 erstellt: 28. Mrz 2025, 14:53
Hallo Wolfgang,

ich habe für Raff ja schon häufiger geworben und halte sowohl seine Sinfonien, als auch seine Streichquartette für einen großen Gewinn. Klar, "das letzte Quäntchen Genialität", dass man bei den größeren Namen findet, mag fehlen - aber will man denn immer und immer wieder das Selbe hören? Ich ziehe da die Abwechslung dem (unfairen?) Vergleich mit den ganz großen Meistern vor.
IMHO sind die 60 EUR für die Schachtel der Sinfonien mit den Bambergern (Tudor) gut und genussvoll angelegtes Geld.

Viele Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 28. Mrz 2025, 14:56 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#31621 erstellt: 28. Mrz 2025, 19:42

Hüb' (Beitrag #31620) schrieb:
IMHO sind die 60 EUR für die Schachtel der Sinfonien mit den Bambergern (Tudor) gut und genussvoll angelegtes Geld.


Das kann ich nur bestätigen, diese Schachtel steht hier auch. Ich meine, ich hätte sie hier auch schon mal besprochen, finde aber aktuell keinen Beitrag von mir ... kaufen !

Edit: Das hier habe ich noch zu Raffs Symphonie No. 7 "In den Alpen" gefunden ... http://www.hifi-foru...0&postID=18094#18094


[Beitrag von arnaoutchot am 28. Mrz 2025, 19:51 bearbeitet]
klutzkopp
Inventar
#31622 erstellt: 28. Mrz 2025, 21:12
Hier Bartoks Mandarin und die Musik für Streicher, Schlagzeug und Celesta mit Boulez/ChicagoSO (wem auch sonst? )

amazon.de
Martin2
Inventar
#31623 erstellt: 30. Mrz 2025, 05:34
Heute etwas aus einer Box gehört, die es lange nicht mehr gibt, der Sony Classical Collection, so einer Box mit verschienstem. Hörte die Schlachtrösser von Tschaikovsky, das 1. Klavierkonzert und das Violin Konzert, Gilels, New. Yorker Philharmoniker, Mehta und Oistrach/ Ormandy. Wirklich gute Interpreten, aber es klang irgendwie schrill. Ich habe es trotzdem genossen. Gilels übrigens war live und das Pulbikum speziell auch im langsameren und leiseren Satz etwas laut.


[Beitrag von Martin2 am 30. Mrz 2025, 05:33 bearbeitet]
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